Und was sagt denn das Neue Testament?

Ehe für Alle: Auslegungen zur Frage des Ehebegriffs

Einführung: die Schrift, aber wie denn?

Eine erste Antwort auf die im Titel gestellte Frage muss, aus altkatholischer (wie auch aus ökumenischer) Sicht heissen: Dass muss für jede Zeit und jeden Kontext neu entdeckt werden. Das hat mit dem Verständnis der Bibel in altkatholischer Theologie zu tun. Dieses Verständnis ist auf der Grundlage altkirchlicher Theologie und im Gespräch mit anderen Kirchen entwickelt und von zentraler Bedeutung bei der Beantwortung sämtlicher Fragen, die anfangen mit ‘was sagt die Bibel zu…’ Die Bibel kommt erst zu ihrem Recht im Zusammenspiel mit verschiedenen sogenannten ‘Bezeugungsinstanzen’ des Glaubens. Was das heisst, zeigt das folgende Zitat, welches lange und komplex ist, aber sich auch lohnt, um zwei, oder dreimal zu lesen, es fasst nämlich einen recht dynamischen Umgang mit der Schrift zusammen:

Darunter sind die verschiedenen Artikulationen des Glaubens zu verstehen, die zur Glaubenserkenntnis und Glaubensentscheidung beitragen. Diese sind die Heilige Schrift, die Tradition, der Glaubenssinn der Gläubigen, das kirchliche Lehramt und die Theolo-gie…Sie alle haben ihren Fokus in der Heiligen Schrift als Zeugnis der Offenbarung des dreieinigen Gottes und seines Heilswillens, sie wie in der Gemeinschaft der Kirche im vom Heiligen Geist initiierten Weisen empfangen und weitergegeben wird. Der geschichtliche Weg, den die Kirche auf ihre Vollendung im Reich Gottes hin zu gehen hat, führt zu vielgestaltigen Inkulturationen des Glaubens. Daher ist im jeweiligen Zusammenwirken der genannten Bezeugungsinstanzen sowohl eine kreative Kontinuität mit der Lehre und den geistlichen Erfahrungen der Väter und Mütter im Glauben als auch eine Offenheit für Lebensfragen der Menschen in ihrer jeweiligen Zeit unabdingbar. (IRAD I, 23)

Die Schrift wird, also, dann zur guten Nachricht, wenn sie im Zusammenspiel mit anderen Stimmen in der Kirche gelesen wird und mit einer Sensibilität für die Kultur, worin sie entstanden ist und für die Kultur worin sie jetzt neu gelesen und interpretiert wird. So nimmt man beide auch ernst. Für das Gespräch über ‘Ehe für alle’ in der Kirche ist das von höchster Bedeutung, denn es beinhaltet die Einladung, sich zu fragen, was wir heute mit ‘Ehe’ und ‘(un)gleichgeschlechtlicher Beziehung’ meinen, was damals mit ‘Ehe’ und ‘(un)gleichgeschlechtlicher Beziehung’ gemeint wurde und wie dieses Thema in den Schriften des Neuen Testamentes zur Sprache kommt, und wie diese zwei sich zu einander verhalten. Einfach kopieren, was damals galt, als ob wir im 1. Jahrhundert leben geht also nicht, was aber auch nicht geht – und das kann eine Befreiung sein! –, ist um die eigene Zeit und Kultur als Massstab aller Dinge zu betrachten. Auf diesem Hintergrund lässt sich dann auch die inhaltliche Frage nach ‘Ehe’ und ‘Ehe für alle’ im Neuen Testament stellen.

Der Umgang mit Ehe im Neuen Testament

Die Ehe kommt im Neuen Testament auf verschiedenen Arten und Weise zur Sprache. Erstens ist sie der Hintergrund für das erste Wunderzeichen Jesu, bei der Hochzeit in Kana (Joh. 2,1-11) und erscheint als Beispiel eines wichtigen (und festlichen) Ereignisses im Alltag (vgl. Luk. 14,8.20, Matt. 22,1-14). Zweitens funktioniert sie in Metaphern bezüglich der Beziehung zwischen Gott/Christus und der Kirche (z.B. in Matt. 22,2; 25,10, Eph. 5,32, Offb. 19,7.9; 21,2.9). Drittens kommt die Ehe zur Sprache in einer Reihe von ethischen Weisungen (z.B. Matt. 5,27-30, Röm. 7,7; 13,9, Eph. 5,3, Kol. 3,5, 1 Thess. 4,3.7, usw.). Viertens spielt die Ehe eine Rolle in Aussagen über ‘Lebensstil’ (Matt 19,12, 1 Kor. 7,32). Ihr Fehlen spielt, zum Schluss, eine Rolle in den ‘Weihnachtserzählungen’ im Matthäus- und Lukasevangelium.

Aus diesen Texten lassen sich verschiedene Sachen ableiten, die gut zum Gesamtbild der Ehe im antiken, auch jüdischen Kontext passen. Zum Beispiel, dass Ehe eine Rolle spielte und kulturell sowohl wichtig, wie auch eine Selbstverständlichkeit war (sie muss nirgendwo eigens erklärt oder begründet werden). Es lässt sich auch aus ihnen ableiten, dass die Gestaltung der Ehe Anlass für Diskussionen war, wie zum Beispiel über die Ehescheidung (Markus 10,1-12parr.), die (nach dem jüdischen Gesetz) nur von Männern initiiert werden konnte (bzw. sollte – es gibt Ausnahmen). Das passt zur generell patriarchalen Struktur der Ehe (vgl. auch die Ehefrau in einer Reihe von Sachen, die man sich erwirbt in Luk. 14,20), was zu anderen Aussagen über die Rolle der Frau in der Gemeinde passt (vgl. 1 Kor. 11,12-16; 14,26-40, usw. – das es auch andere Texte gibt kann nicht Gegenstand von diesem Beitrag sein). Zudem gilt die Ehe als kulturelle Voraussetzung für die Zeugung von Kindern, wie in den Kindheitsevangelien (Matt. 1-2, Lk. 1-2) klar impliziert ist. Anthropologisch wird die Ehe mit dem Schöpfungsbericht im Buch Genesis assoziiert (Markus 10,1-9parr.). Auch geht das Neue Testament aus von einer monogamen Ehe (keine Selbstverständlichkeit, vgl. 1 Tim. 3,2.12) und lehnt Untreue ab (vgl. Matt. 5,27-30). Juridisch ist dabei die Ehe als (verträglich geregelter) ‘Bund’ zu verstehen, da auch die Beziehung Gottes zum erwählten Volk als Bund definiert wird, kann die Ehe auch als Bild für den Bund verwendet werden. Dabei sind die Partner, wie in der zwischenmenschlichen Ehe (zu dieser Zeit) nicht gleichwertig.

Es lassen sich aber auch ein paar Sachen aus den neutestamentlichen Texten ableiten, durch welche die frühchristliche Tradition, als eine frühjüdische Strömung (!), von der kulturellen Tendenz ihrer Zeit abweicht. Diese sind besonders zu berücksichtigen. So ist es interessant, dass Jesus sich gegen die einseitige Auflösung der Ehe (bzw. gegen das Wegschicken der in der Regel vom Ehemann abhängigen Gattin) wehrt (Markus 10,1-12parr.), dass ein eheloser (c.q. zölibatärer) Lebensstil durchaus als Möglichkeit erscheint (Matt 19,12, 1 Kor. 7,32), welcher ohnehin dem Zustand im Himmel bzw. ‘in Christus’ entspricht (Markus 12,25/ Matt 22,30; Gal. 3,28), dass in der Hl. Familie die ‘natürliche’ Zeugung eines Kindes zumindest relativiert wird (Matt. 1-2, Lk. 1-2), und dass sogar in einem Text wie Eph. 5, der auch von einer Unterordnung der Ehefrau unter dem Ehemann redet, von einer gegenseitigen Unterordnung und von der Verpflichtung einer Christusähnlichen Liebe seitens des Mannes die Rede ist. Diese Deutung des ‘Ehe-Bundes’ zwischen zwei Personen, worin die Hierarchie zwischen den beiden wenigstens ansatzweise relativiert wird im Lichte der Beziehung Christi zur Kirche und aufgrund der sich selbst schenkenden Qualität seiner Liebe, passt gut zu einem wichtigen Thema, welches in vielen neutestamentlichen Schriften vorkommt, aber im Hymnus in Phil. 2,5-11 seinen deutlichsten Ausdruck findet: die Erneuerung der Beziehung zwischen Gott und Mensch durch die ‘Entäusserung’ (‘Kenosis’) Christi.

Sowohl die Beziehung zwischen Gott und Mensch und die Beziehung zwischen Menschen kann unter diesem Vorzeichen revidiert werden. Zum Schluss: Was im Neuen Testament nicht stark thematisiert wird, ist biologische Fruchtbarkeit als Zweck der Ehe, obwohl sie natürlich mit der Ehe assoziiert wird (ein Zweck der Ehe erwähnt Paulus in 1 Kor. 7,9 allerdings: die Ordnung der Lüste). Zur Assoziation der Ehe mit dem Schöpfungsbericht lässt sich zudem festhalten, dass dies geschieht in einem Kontext, worin weder die ‘natürliche’ Fruchtbarkeit von Frau und Mann (die in biblischer Tradition ohnehin gar nicht als so ‘natürlich,’ sondern als Segen Gottes verstanden wird) oder die ‘bipolären’ Komplementarität von Frau und Mann begründet werden muss, sondern Jesu Widerstand gegen eine Auslegung des Gesetzes, wonach ein Ehemann seine (von ihm abhängigen) Gattin ohne Wenn und Aber wegschicken kann.

Das Bild der Ehe im Neuen Testament ist somit zweideutig: natürlich passt es zur kulturellen Welt des ersten Jahrhunderts, auch Bibeltexten sind kulturelle Kinder ihrer Zeit; zur gleichen Zeit ist auch so, dass eigene Akzente anzutreffen sind, die sich so verstehen lassen können, dass, wie die ganze Wirklichkeit, auch die Wirklichkeit der Ehe im Lichte des Reiches Gottes gesehen und je nachdem auch transformiert werden soll, damit die Ehe auch dem Leben in Gemeinschaft mit Christus entspricht; das führt zu den eigenen Akzenten in Aussagen über die Ehe in frühchristlichen Texten.

Umgang mit ‘gleichgeschlechtlicher Liebe’ im Neuen Testament

Wer sich die Texte im Neuen Testament anschaut, die irgendetwas zu tun haben mit gleichgeschlechtlicher Sexualität (es sind diese: Röm. 1,26-27, 1 Kor. 6,9-10, 1 Tim. 1,10, Jud. 7) wird relativ schnell sehen, dass diese Aussagen keineswegs positiv sind. Wer gleichgeschlechtliche Beziehungen auf der Grundlage von diesen Texten ablehnen möchte, scheint es deswegen auch relativ einfach zu haben. Allerdings würde das dem oben erwähnten Umgang mit der Schrift nicht entsprechen: Man würde Aussagen aus dem 1. Jahrhundert ohne Wenn und Aber auf das 21. Jahrhundert anwenden und achtet zudem nicht auf die anderen ‘Bezeugungsinstanzen’ des Glaubens. Dabei gilt es aus hermeneutischer Sorgfalt sowieso noch eine Zwischenfrage zu stellen: Was wird denn genau abgelehnt und aus welchen Gründen?

Eine kurze Betrachtung einer zentralen und repräsentativen Stelle, aus dem Römerbrief des Paulus (1,26-27), kann aufzeigen, was die Konturen einer Antwort auf diese Frage sein können. Die Stelle lautet: ‘26 Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; 27 ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung.’ (Einheitsübersetzung) Was auffällt, ist, dass Paulus sich stark auf die Thematik von ‘Leidenschaften’ und ‘Begierde’ konzentriert, ausschliesslich von Sexualität spricht (nicht von Beziehungen) und sich auf die ‘Natur’ bezieht als Referenzrahmen und ‘Ehre’ betont. Offenbar betrachtet Paulus gleichgeschlechtliche Sexualität als unbeherrschte Lust und bezieht sich auf die Auffassungen über was sich gebührt (‘ehrenvoll’ ist) und was natürlich ist, zwei Sachen, die häufig das Gleiche bedeuten, um es als ‘Verirrung’ zu beschreiben.

Wer von einer gesellschaftlichen Ordnung ausgeht, wie es zur Zeit von Paulus üblich war, worin Männer und Frauen in eher hierarchisch geordneten Verhältnissen lebten, wobei diese Ordnung auch als eine sexuelle Ordnung verstanden wurde, wird dieser Sicht leicht zustimmen können. Wer aber über gleichgeschlechtliche Beziehungen in einem anderen Umfeld nachdenkt, zum Beispiel in der Schweizerischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, worin eine hierarchisch geordnete Beziehung gerade nicht als ‘natürlich’ oder ‘ehrenvoll’ gilt, wird wohl, aufgrund der genau gleichen Kriterien wie Paulus (i.e. was ‘ehrenvoll’ oder ‘natürlich’ ist) zu anderen Schlussfolgerungen kommen, vor allem wenn man dabei auch in erster Linie von gleichgeschlechtlichen Beziehungen und nicht von ‘blosser’ gleichgeschlechtlicher Sexualität spricht. Anders gesagt: Paulus lehnt auf Grund einer ganz spezifischen, soziokulturell bestimmten Sicht und als Kind seiner Zeit, gleichgeschlechtliche Sexualität ab (wobei ich es jetzt ausser Betracht lasse, dass die Terminologie ‘gleichgeschlechtlich’ und ‘ungleichgeschlechtlich’ zurzeit von Paulus ganz anders funktionierte als heute – wichtig war vor allem, dass Partner in sexuellen Beziehungen die gleiche ‘Position’ innehatten wie in der Gesellschaft; das führt für hier aber zu weit). Sobald sich dieser soziokulturelle Rahmen ändert, wird man, gerade wenn man die Argumentation des Paulus ernst nehmen möchte, zu anderen Schlussfolgerungen kommen, die den Weg zu einer Ehe für alle in der Kirche eröffnen (Das ist übrigens genau das, was im obigen Zitat aus dem Dialogtext mit ‘Inkulturation’ gemeint ist).

Perspektiven

Lässt sich aus diesen Beobachtungen ein allgemeines Eheverständnis für das frühe Christentum, oder sogar, gleich ein paar Millennia überspringend ein christliches Eheverständnis für das 21. Jahrhundert, ob nun für ‘alle’ oder nicht abtöten? Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoll, sich vor allem inspirieren zu lassen von den eigenen Akzenten, die in frühchristlichen Aussagen anzutreffen sind. Dabei wäre dann die Idee leitend, dass das, was Ehe ist, im Lichte des Reiches Gottes gesehen wird. Was denn Ehe ‘ist’, ist dabei ein Bund (bzw. ‘Partnerschaft’), um den Begriff aufzugreifen, der den Hintergrund von vielen neutestamentlichen Aussagen über die Ehe darstellt, der eine Gemeinschaft zwischen (zwei) Personen herstellt. Was die genaue Gestalt von diesem Bund sein soll, ist im Neuen Testament ein Suchprozess; welche Wege frühchristliche Autoren (und womöglich Autorinnen) gehen, um diesen Bund im Lichte Christi, bzw. im Horizont des Reiches Gottes zu verstehen, wurde oben skizziert. Die jetzige Diskussion über Ehe für alle kann als ein nächstes Kapitel dieser Suche verstanden werden, wobei, neben neutestamentlichen Einsichten, auch andere Stimmen mitberücksichtigt werden sollen – und das passiert, wenn es mit rechten Dingen zugeht, im synodalen und konziliären Prozess innerhalb der (Orts)Kirche und zwischen den Kirchen weltweit.

Peter-Ben Smit