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Der Segen Gottes liegt auf jeder Liebe

Meine Ausführungen sind ein Beitrag zu der aktuellen Diskussion um die sakramentale Ehe für alle in unserer Kirche. Ich ver­stehe ihn auch als ein Zeugnis meiner persönlichen Spiritualität und wie ich insbesondere die bedingungs­lose Liebe Gottes verstehe.

Die Schöpfung ist ursprünglich gut. Dass dies auch die Meinung Gottes ist, entnehmen wir den beiden wunderbaren Schöpfungsberichten aus dem Gene­sisbuch, wo es im ersten heisst, dass Elohim (man beachte den Plural im hebräischen Wort) zu sich selber sagte: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! (Gen 1,26). Und Elohim schuf den Menschen als männlich und weiblich (Gen 1,27b).
Diese Aussagen könnten auf den ersten Blick theo­logisch so verstanden werden, dass ein Mensch nur als heterosexuell und als 100% Mann oder 100% Frau (modern gesprochen als Cis-Mann/ Cis-Frau) von Gott als gut befunden würde und seinem Eben­bild entspräche. Als Frau (100% heterosexuell mit 100% weiblicher Identität) könnte ich nun denken: Glück gehabt! Du gehörst zu den von Gott geseg­neten Menschen und die anderen haben Pech und müssen sich halt mit ihrem Schicksal arrangieren. 

Verstehen wir die Schöpfungsgeschichte auf der biologischen und auf der geistlichen Ebene, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Wir stellen zwar eine männlich-weibliche Grundstruktur oder Polarität allen Seins fest, die dem Schöpfungswillen Gottes entspringt. Aber wir wissen heute, dass es im Be­reich des Menschlichen etwa 20 Prozent unter­schiedliche Variationen und Mischformen von männlich und weiblich gibt: Es gibt allein etwa sechzig verschiedene Formen von Intersexualität. Das betrifft Menschen, bei denen keine eindeutige biologische Geschlechtszugehörigkeit besteht, sei es aufgrund der Chromosomen oder durch die hor­monelle Entwicklung. Als Folge treten bei ihnen körperliche Merkmale beider Geschlechter auf. Auch auf der seelischen Ebene gibt es zahlreiche Varianten geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung. Es gibt Menschen, die sich als männ­liche Identität in einem weiblichen Körper oder als weibliche Identität in einem männlichen Körper fühlen. Dann gibt es Frauen, die sich sexuell zu Frauen hingezogen fühlen und Männer zu Män­nern oder Menschen, die sich von beiden Ge­schlechtern sexuell angezogen fühlen. Dies ist nur eine vereinfachte Zusammenschau der unter­schiedlichen Varianten menschlichen Seins. Damit soll aufgezeigt werden, dass immerhin etwa ein Fünftel der gesamten Menschheit von der ‘Norm’ abweicht. Die Betroffenen erleben ihre Identität und Orientierung als nicht frei wählbar. Viele be­richten, dass sie ihre geschlechtliche Identität und Orientierung bereits seit ihrer Kindheit so wahrge­nommen haben. Und viele tragen schwer daran, dass sie in ihrem Sein nicht akzeptiert werden und Ablehnung und Diskriminierung erfahren. Verstehen wir nun die Schöpfung Gottes im geistlichen Sinne als gut, sind alle Menschen in Be­zug auf ihre geschlechtliche Identität und Orientie­rung auf der Basis der Polarität von weiblichem und männlichem Prinzip von Gott geschaffen und sein Ebenbild.

Die biblischen Schriften sind auf dem Hintergrund einer Gesellschaft entstanden, die es gar nicht zu­gelassen hätte, dass gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierungen und unterschiedliche Geschlechte­ridentitäten hätten bewusst wahrgenommen oder gelebt werden können. Die Bibelstellen, die homo­sexuelle Praktiken als Sünde darstellen, müssen wir auf diesem Hintergrund verstehen. (Die Bibel rich­tet sich zudem auch zu Recht gegen die Knaben­liebe/Pädophilia, die in der Antike von heterosexu­ellen Männern praktiziert wurde). Im Neuen Testa­ment werden keine Aussagen von Jesus zum Thema der Homosexualität überliefert – übrigens auch nicht zum Thema Sexualität oder Ehe an sich. Die einzige Stelle, bei der es um Ehescheidung geht, richtet sich Jesus gegen die gängige Praxis, eine Ehefrau einfach abzuschieben, wenn sie nicht mehr genehm ist (Mt 5,31-32).

Ein Unterrichtskind hat mir auf einen Wunschzettel geschrieben: Ich möchte gerne so sein dürfen, wie ich bin. Das ist für viele Kinder und Erwachsene auch in unserer heutigen Gesellschaft noch keine Selbstverständlichkeit. In der Kirche hingegen – wo wir die Liebe Gottes, wie sie in Christus erschienen ist verkörpern – sollte es eine Selbstverständlich­keit sein. Es ist in meinem Verständnis ein Haupt­kriterium der Liebe Gottes, dass Menschen bedin­gungslos von ihm geliebt und angenommen wer­den, so wie sie geschaffen sind – ob sie nun zu den 20 oder 80 Prozent der Menschheit gehören. Ich kenne persönlich viele heterosexuelle Paare und einige Männer und Frauen, die in gleichgeschlecht­lichen Partnerschaften leben. Es ist vom seelischen Vollzug her bei allen die gleiche Liebe.

Im Hinblick auf unsere Diskussion um die Sakra­mentalität der Ehe für alle habe ich drei grundle­gende Zusagen von Jesus im Blick: Seine Liebe, sei­nen Geist und seine Auferstehung:

  1. Sein gesamtes Zeugnis verweist auf die be­dingungslose Liebe Gottes, die er verkör­perte und praktizierte, indem er Menschen durch Worte und Taten berührte, heilte und segnete. Auch im Blick auf die dazu passende Aussage des ersten Johannes­briefes, dass Gott die Liebe ist, muss Gottes Segen auf jedem Menschen und auf jeder Liebe liegen.
  2. Im Johannesevangelium spricht Jesus: Der Heilige Geist, den euch der Vater an meiner Stelle als Helfer senden wird, er wird euch alles erklären und euch an das erinnern, was ich gesagt habe (Joh. 14,26). Die Heilige Schrift darf darum nicht der alleinige Mass­stab für unsere Entscheidungsfindung seinDie Evangelien basieren auf mündlicher Überlieferung, sind selektiv und bereits theologisch interpretiert. Die Schriften des Neuen Testamentes sind zudem vom Hin­tergrund einer patriarchalen Gesellschaft geprägt. Der Heilige Geist wirkt aber durch die Zeiten und bis heute weiter, in jedem Menschen, der sich im Geist der bedin­gungslosen Liebe Gottes anvertraut und sich mit dem Christusbewusstsein verbin­det. 
  3. Im Blick auf die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, die auch uns zugesagt ist, müssen wir unser irdisches Leben und Lie­ben auch vom himmlischen Ziel her be­trachten. Jesus sagte, dass wir im Himmel keine Ehen mehr führen, sondern wir wie Engel im Himmel sein werden (Mt. 22,7) – woraus wir entnehmen können, dass wir nach diesem Erdenleben keine geschlecht­lichen Wesen mehr sind. Den Blick auf un­sere himmlische Identität gerichtet, relati­viert sich auch die Frage nach der Sakra­mentalität des Lebens- und Liebesbundes eines Menschenpaares. Die physiologische Ebene kann im Blick darauf nicht das Haupt­kriterium sein.

Meine Hoffnung ist, dass es uns als Kirche gelingt, im Vertrauen auf die Führung des Heiligen Geistes und im Blick auf Jesus Christus voranzugehen. Dazu ge­hört für mich auch gegenseitiges Verständnis und Einfühlen, ein respektvoller Umgangston, sowie die Bereitschaft, einen gemeinsamen Weg zu suchen und zu finden. 

Gemäss dem Evangelium kann der Wille Gottes im­mer nur Liebe sein: Eine Liebe, die bedingungslos ist und niemanden ausschliesst. Es ist nun an uns, nach diesem Massstab der Liebe zu handeln, damit sich in unserer Kirche jedes Menschenkind von Gott geliebt, gesegnet und angenommen fühlt.

Pfarrerin Denise Wyss

Christkatholische Kirche Solothurn