Das ist nur eine Phase

«Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit.» (Koh 3,1)

Eines Morgens beim Frühstück sprang mein Sohn lieber herum und spielte, anstatt zu essen. Darob fühlte ich mich veranlasst, ihn zu ermahnen, dass er essen solle, denn bald müssten wir los zum Kindergarten. Aus heiterem Himmel erinnerte ich mich an Kohelet 3,1: «Alles hat seine Zeit.» Grinsend erklärte ich ihm: «Jetzt hör mir mal zu. Es gibt eine Zeit zum Spielen und eine Zeit zum Herumspringen. Es gibt eine Zeit zum Quatschen und eine Zeit zum Motzen. Es gibt auch eine Zeit zum Sauereimachen und eine Zeit zum Erwachen. Aber jetzt, mein Lieber, jetzt ist Zeit zum Essen und danach ist Zeit zum Zähneputzen. Dann ist Zeit zum Anziehen und dann müssen wir los.» Zu meiner Freude schien meine Rede dem Vierjährigen einzuleuchten und er ass auf.

Nachher beim Anziehen aber protestierte der Kleine lauthals und unter Tränen: «Andere Kappe!» Diese war schon seit Tagen unauffindbar, was jeden Morgen heftige Gefühlsausbrüche auslöste. Alle Beruhigungsversuche nützten nichts. Mein Sohn warf sich auf den Boden, wo er sich zappelnd wälzte. Mit einem schmerzerfüllten «Blöder Papi!» machte er mich für das Fehlen der Kappe verantwortlich. Mir meiner Mitschuld bewusst, atmete ich tief und schwer ein. Ich schloss meine Augen, kämpfte gegen die Schimpftirade, die sich in mir zusammenbraute, und betete still: «Alles hat seine Zeit, das ist nur eine Phase, auch das geht wieder vorbei.» Und siehe, etwas später hatte sich des Knaben Wut in Schluchzen verwandelt und wir konnten endlich los. – Zu spät kamen wir übrigens auch nicht.

Pfarrer Lenz Kirchhofer