Hören statt Sehen

Ist Ihnen schon aufgefallen, wie oft Sie täglich in verschiedenen Zusammenhängen lesen und schreiben – kürzer oder länger, nebenbei oder ganz bewusst? Nach einem Eingriff an einem Auge durfte ich einige Wochen nicht lesen und schreiben. Die für das Lesen typischen raschen Mikrobewegungen der Augen hätten ihnen schaden können. In dieser kurzen Zeit merkte ich, wie abhängig ich davon bin, selber lesen zu können: Rasch etwas recherchieren, ein Mail schreiben, einen Roman lesen, in der Bibel lesen … Sogar in der Chorprobe war es schwierig, weil ich die Messe nicht auswendig singen konnte. 

Ich habe dann Musik und vor allem die Bibel als Hörbuch angehört. Was für eine Entdeckung! Wir sind es gewohnt, ganz kurze Ab­schnitte aus der Bibel zu hören – sonntags im Gottesdienst – oder zu lesen – in der Bibelgruppe. Dabei achtet man aufs Detail und die exegetische Auslegung hilft beim Verstehen. Man geht punktuell in die Tiefe. Das ist wichtig und gut so. 

Beim konzentrierten Hinhören auf das Lukasevangelium – mit einer Vorlesezeit von gut drei Stunden – war ich erstaunt über Zusammenhänge, die mir vorher nicht bewusst waren. Geführt von der geschulten Stimme des Vorlesers bin ich eingetaucht in die Darstel­lung des Weges Jesu, wie Lukas
ihn bezeugen wollte. So hat mir eine Einschränkung zu neuen Einsichten und zum Staunen ver­holfen. Vielleicht haben Sie Lust, sich auch auf eine solche Erfahrung einzulassen. 

Franziska Hälg-Steffen