Mit dem Kopf in den Sternen und die Füsse auf dem Grat

Ein seltsamer Anblick: Unter mir links
und rechts sowie über mir ein Him-
mel voller Sterne, zu dem ich auf ei-
nem schmalen Schatten hinaufstieg:
der Gipfelgrat des Kun, eines 7000ers
am Rande von Zanskar. Mit dem
Kopf in den Sternen und den Füs­sen
auf einem schwindeligen Grat, war
ich noch nie so hoch gewesen. Gross-
er Erfolg. Einige Nächte zuvor hatten
wir im Team die Sternschnuppen ge-
zählt …

Nachdem ich einen Monat
in die Schweiz zurückgekehrt war,
rief der Berg erneut. Ich unternahm
eine einsame Trekking-Biwak-Tour
zwischen Wallis und Aostatal. An
einem bestimmten Samstag teilte
ich auf dem Fenêtre de Durand ein
improvisiertes Essen mit zwei Frauen
und einem Mann aus Israel, die von
Italien aus aufgestiegen waren. Eine
unwahrscheinliche Begegnung auf
einem historischen Pass: Während
des letzten Krieges hatten jüdische
Familien und andere vom Faschis-
mus verfolgte Menschen über diesen
Pass Zuflucht in der Schweiz gefun-
den.

Der Abend kam, der Berg leerte
sich, und ich blieb allein zurück. Ich
träumte mit offenen Augen. Plötz-
lich explodierte eine Sternschnuppe
mit unglaublicher Wucht, gefolgt
von mehreren anderen. Ich sammel-
te alle meine Wünsche, aber dieser
Stern erfüllte mich mit einer selt-
samen Befangenheit. Am nächsten
Tag erfuhr ich, dass Israel gerade mit
unglaublicher Barbarei angegriffen
worden war, zur selben Zeit, als ich
mit den Jugendlichen war. Das war
erschütternd. Ist es zu naiv zu hof-
fen, dass die Wünsche nach Frieden,
Gesundheit, Freiheit, Glück und Lie-
be in Erfüllung gehen können?

Franz Peter Murbach