Der interreligiöse Dialog – eine Herausforderung

Interreligiöse Projekte mit christkatholischem Bezug

In unserer heutigen Zeit ist die Gesellschaft in der Schweiz
und anderen westlichen Ländern geprägt von kultureller und religiöser Vielfalt. Aufgrund unserer Mobilität und Kom­munikationsmöglichkeiten, leben wir nicht nur viel enger mit Men­schen zusammen, die anderen Religionen angehören, uns steht Dank der Theologie und der Religionswissenschaft heute auch viel mehr Wissen über andere Religionen und Kulturen zur Verfügung.

Trotzdem bleibt der interreligiöse Dialog eine Herausforderung, auch deshalb, weil nicht immer klar ist, was damit eigentlich gemeint ist und worin er sich von der Ökumene unterscheidet.

Der zentrale Unterschied liegt – vereinfacht ausgedrückt – darin, dass es bei der Ökumene, um die Vielfalt und den Dialog innerhalb des Christentums geht und beim interreligiösen Dialog, um die Vielfalt und die Begegnung aller Religionen, also über das Christentum hinaus.

Innerhalb des Christentums: Trennungen und Abspaltungen

Innerhalb der Geschichte des Christentums kam es immer wieder zu verschiedenen Trennungen und Abspaltungen von Kirchen. Grund dafür waren meist unterschiedliche theologische Auffassungen. Doch trotz unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen, haben alle Christinnen und Christen eine gemeinsame Grundlage: der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi und die Bibel, die als Heilige Schrift verstanden wird.

Interreligiöser Dialog: Keine gemeinsamen Glaubensüberzeugungen

Im interreligiösen Dialog gibt es keine gemeinsamen Glaubensüberzeugungen. Andere Religionen sind anders und haben andere Heilige Schriften. Zwar sind Religionen keine monolithischen Blöcke, keine abgeschlossenen Systeme, sondern teilweise ineinander verwoben und aus einander heraus entstanden. Manches wirkt ähnlich, trotzdem gibt es kein gemeinsames theologisches Fundament. Andere Religionen glauben andere Dinge.

Diese wesentliche Unterscheidung zwischen Ökumene und interreligiösem Dialog hat Auswirkungen auf die Erwartungen und Ziele eines Dialogs. Während wir uns im ökumenischen Dialog darum bemühen, theologische Differenzen zu überwinden und Gemeinschaft mit anderen Kirchen zu schliessen, geht es im interreligiösen Dialog darum, andere Religionen in ihrem anders sein verstehen zu lernen, nicht sich einig zu werden.

Vielseitigkeit forderte eine Systematisierung

Weil der interreligiöse Dialog sehr vielseitig ist, haben Theologinnen und Theologen versucht diesen zu systematisieren. Die römisch-katholische Kirche hat anfangs der 1990er Jahren ein überzeugendes Modell entwickelt, dass sich weitgehend durchgesetzt hat. Dieses Modell wurde 1991 vom Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog in dem Dokument «Dialog und Verkündigung» veröffentlicht. Darin werden vier Formen des interreligiösen Dialogs unterschieden: der Dialog des Lebens, der Dialog des Handelns, der Dialog des theologischen Diskurses und der spirituelle Dialog.

Beim Dialog des Lebens geht es darum, dass «Menschen in einer offenen und nachbarschaftlichen Atmosphäre zusammenleben wollen, indem sie Freud und Leid, ihre menschlichen Probleme und Beschwernisse miteinander teilen». Diese Form des Dialogs geschieht ganz von selbst zum Beispiel mit Nachbarn oder Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen, die einer anderen Religion angehören.

Beim Dialog des Handelns geht es um die Zusammenarbeit von «Christen und Nichtchristen für eine umfassende Entwicklung und Befreiung der Menschen». Damit sind zum Beispiel ökologische oder soziale Projekte gemeint, bei denen verschiedene Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten.

Beim Dialog des theologischen Diskurses vertiefen «Spezialisten ihr Verständnis ihres jeweiligen religiösen Erbes» und lernen «die gegenseitigen Werte zu schätzen». Damit sind zum Beispiel Konferenzen gemeint, bei denen Theologinnen und Theologen unterschiedlicher Religionen zusammenkommen.

Beim spirituellen Dialog teilen «Menschen, die in ihrer eigenen religiösen Tradition verwurzelt sind, ihren spirituellen Reichtum…, zum Beispiel was Gebet und Betrachtung, Glaube und Suche nach Gott oder dem Absoluten angeht».

Alle Formen sind Beitrag interreligiöser Verständigung

Neben diesen vier Formen des interreligiösen Dialogs gibt es weitere Formen, wie zum Beispiel den diplomatischen interreligiösen Dialog, bei dem sich religiöse Führungspersönlichkeiten austauschen und öffentlich ihre Wertschätzung füreinander durch einen Handschlag oder eine Umarmung demonstrieren. In der Realität überschneiden sich die verschiedenen Formen des interreligiösen Dialogs oft und können nicht immer eindeutig zugeordnet werden. Aber alle Formen sind wichtig und leisten ihren Beitrag für eine bessere interreligiöse Verständigung.

Interreligiöse Projekte mit christkatholischem Bezug

Dieser wichtige Beitrag für eine bessere interreligiöse Verständigung zeigt sich an verschiedenen interreligiösen Projekten mit christkatholischem Bezug. Vor fünf Jahren wurde die interreligiöse Erklärung «Gegenüber ist immer ein Mensch», vom Schweizerischen Rat der Religionen (SCR), veröffentlicht. An der Erarbeitung dieser Erklärung war auch die Christkatholische Kirche der Schweiz beteiligt. Darin werden sowohl Politik, als auch Religionsgemeinschaften aufgefordert, sich für Schutzsuchende einzusetzen. Diese Erklärung hat, da es sich um einen öffentlichen Appell handelt, eine diplomatische aber auch eine theologische und handlungsorientierte Dimension.

Ein hingegen eindeutiges Beispiel ist das Symposium «Christian Theology and the Dialogue with Islam», das am 3. November 2023 am Institut für Christkatholische Theologie an der Universität Bern stattfand. Das Symposium beschäftigte sich mit Fragen und Herausforderungen, die der Dialog mit Musliminnen und Muslimen für die christliche Theologie und die Praxis aufwirft und untersuchte, wie der christlich-muslimische Dialog theoretisiert und praktiziert wird. Es traffen sich also Expertinnen und Experten zu einer Konferenz, an der natürlich auch interessierte Laien teilnehmen durften, und diskutierten komplexe Fragestellungen. Ein drittes Beispiel, das uns in Zukunft beschäftigen sollte, ist die Frage, wie wir den Dank-, Buss- und Bettag – ein staatlicher Feiertag – feiern wollen. Wir müssten nach Wegen suchen, wie wir mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen gemeinsam feiern könnten. Hier geht es um spirituelle, liturgische und theologische Fragen aber auch um ein Zeichen für gemeinsames Handeln.

Interreligiöser Dialog erfordert Kompetenzen und Reflektion

Aufgrund seiner Komplexität, setzt der interreligiöse Dialog Kompetenzen und Reflektion voraus, da er auch problematisch sein kann. Drei mögliche Beispiele sind:

1) Religiöse Vielfalt in der Gesellschaft wird als ein Problem betrachtet, bei dem es nur darum geht, wie wir friedlich miteinander oder nebeneinander leben können. Die theologische Dimension des interreligiösen Dialogs wird kaum berücksichtigt und Begegnung mit anderen Religionen werden nur selten als Ressource betrachtet, mit der wir unsere Theologie weiter entwickeln könnten.

2) Menschen, die anderen Religionen angehören, werden bei interreligiösen Veranstaltungen mit grossem Interesse beobachtet, bestaunt und befragt, ohne dass die eigene Religiosität eingebracht und reflektiert wird. Es findet ein einseitiges Lernen über andere Religionen, anstatt mit anderen Religionen statt. Das ist kein Dialog, es werden Stereotypen verstärkt anstatt abgebaut.

3) Die Suche nach Ähnlichkeiten in anderen Religionen führt zur Vereinnahmung der anderen Religionen. Nach Ähnlichkeiten suchen bedeutet, dass die eigene Religion zum Standard, zum Ideal gemacht wird von dem aus gedacht wird. Doch was in anderen Religionen als ähnlich bestimmt wird, bleibt gegenüber dem Standard defizitär.

Die Auseinandersetzung mit interreligiösen Fragestellungen sind kein netter Zusatz auf den verzichtet werden könnte. Vielmehr handelt es sich um zentrale theologische und andere Fragen, mit denen wir reflektiert umgehen müssen.

Miriam Schneider
Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen der Christkatho­lischen Kirche der Schweiz und Doktorandin an der Freien
Universität Amsterdam.


Interreligiöser Think Tank
Leitfaden für den
interreligiösen Dialog

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Ulrich Dehn
Geschichte des interreligiösen Dialogs
Der interreligiöse Dialog ist sehr alt und folgte meistens dem Anliegen, durch interreligiösen Frieden auch allgemeinen Frieden zu erwirken. Schon mittelalterliche Autoren wie Petrus Abaelard, Ramon Lull und Nikolaus von Kues haben sich als Schriftsteller daran beteiligt.
EB-Verlag
238 Seiten
ISBN: 978-3-86893-322-2