Ich verliere gern

«Dann werden manche von den Letzten die Ersten sein, und manche von den Ersten die Letzten.» Lk 22,30

«Juhui, gewonnen!» freut sich meine Tochter lautstark und hebt triumphierend die Fäuste gen Himmel. Die Würfel sind gefallen, das Spiel ist aus, nichts geht mehr. Wirklich? «Ist mir doch egal», kontert mein Sohn. «Die Letzten werden die Ersten sein. Und darum habe ich gewonnen.» Da ist das Schwesterlein sprachlos und so richtig triumphieren mag auch der Bruder nicht. Während sich bei mir mein theologisches Gewissen meldet, ob man einfach so mit Bibelzitaten um sich schmeissen darf, ohne sie im Kontext zu betrachten, bin ich froh, dass mein Sohn nicht zu heulen beginnt, sich ärgert oder grämt, weil er ein Spiel verloren hat. Zufrieden grinst er breit, während meine Tochter stolz auf ihren Sieg ist.

«Das ist ein schlauer Gedanke, mein Lieber, und ich finde es super, wie Du mit dieser Niederlage umgehst», lobe ich meinen Sohn, weil ich glaube, mich zu erinnern, in einem pädagogischen Buch gelesen zu haben, dass Eltern das tun sollen. Weil dies aber ein Gespräch eines Pfarrers mit seinen Pfarrerskindern ist, fahre ich fort: «Aber ich weiss nicht, ob das so einfach ist und ob Jesus wirklich ans Spielen gedacht hat, als er das sagte.» Und ich beginne, zu erklären, dass wir ja ein Spiel gespielt haben mit Regeln, wo es halt eine Gewinnerin und Verlierer gibt, und dass das eben auch so ist und auch sein Gutes hat, denn im Grunde wollen ja alle immer gewinnen und keiner will verlieren. «Das ist aber ungerecht», protestiert mein Sohn. Und ich finde, er hat ja recht, Jesus hat diese Worte sicher auch gesprochen, um die Verlierer aufzuheitern. Ich merke, wie ich vor lauter theologischer Verzweiflung immer mehr in Teufels Küche komme. Mein Sohn hebt den Finger und verkündet so strahlend wie standhaft: «Ich verliere halt gerne. Weil die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten.»

«Bravo, mein Lieber» gebe ich nach «Du hast natürlich recht, wenn Jesus das gesagt hat.» Still und zähneknirschend hoffe ich, dass mein Sohn trotzdem auch Ehrgeiz entwickelt, auch wenn ich weiss, dass er sehr gerne gewinnt und dann dieses Zitat sicher nicht bringt.

Lenz Kirchhofer