Loslassen können

«Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.» (Lk 2,29-31).

Vierzig Tage nach seiner Geburt wird Jesus von seinen Eltern in den Tempel nach Jerusalem gebracht. Dort nimmt der greise Simeon das kleine Kind in seine Arme und preist Gott. Diese berührende Begegnung hilft Simeon, loszulassen, sich von dieser Welt zu lösen. Loslassen können – wie oft wird das doch von uns gefordert. Nicht erst im Alter, nicht erst beim Sterben. Immer wieder müssen wir loslassen, uns von Lebenssituationen, Menschen und Aufgaben trennen. Das ist oft schwierig. Simeon gelingt es. So paradox es scheint: Simeon kann sich in seinem hohen Alter so gut von allem lösen, weil er eine Zukunft vor sich sieht. Er sieht in diesem Kind in seinen Armen das Licht der Welt. Ein Licht, das eine oft allzu dunkle und hoffnungslose Welt hell machen kann. Und sein Blick geht nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich in die Weite: Er sieht, dass dieses Kind nicht nur Hoffnung für sein Volk verheisst, sondern für alle Menschen. Simeon kann so gut loslassen, weil er – obwohl er sehr alt und scheinbar ohne Zukunft ist – in diesem Kind eine Perspektive über sein irdisches Leben, über den Tod hinaus, sieht. Er erfährt, dass sogar jetzt, im Greisenalter, das Beste und Schönste noch aussteht, noch auf ihn wartet.

Pfarrer Thomas Zellmeyer