Wahrhaft menschlich

«Er ist als Mensch geboren worden» (Röm 1,3)

Von Gandhi wird folgende Episode überliefert: Einmal wollte Mahatma in einen Zug steigen, doch dabei verlor er eine seiner Sandalen. Der Zug fuhr aber schon an und so gelang es ihm nicht mehr, auszusteigen und die Sandale zu holen. Kurzerhand zog er auch die andere Sandale vom Fuss und warf sie aus dem Fenster, so dass sie neben der ersten zu liegen kam. Die übrigen Fahrgäste wunderten sich über Mahatmas Verhalten. Schliesslich getraute sich einer zu fragen: «Warum haben Sie das getan? Nun haben Sie zwei Schuhe verloren!» Gandhi lächelte: «Was soll ich mit einer Sandale? So hat wenigstens der, der sie findet, ein gleiches Paar, das er anziehen kann.»

Das Christentum wird nicht müde zu betonen, dass das Göttliche im Menschen Jesus wirklich menschliche Gestalt angenommen hat. Man kann mit dieser Wahrheit jemanden in Furcht und Angst versetzen oder aber ihn ermutigen. Dann jedoch hatte Jesus wirklich menschliche Emotionen, angefangen bei Ekel, Ärger und Wut bis hin zu Angst, Trauer und Freude. Geärgert hat ihn sicherlich viel, da dürfen wir bei ihm nicht zu klein denken. So wie sich Gandhi sicherlich einen Augenblick auch über die verlorene Sandale geärgert haben mag. Entscheidend ist nun nicht das Unterdrücken oder Verleugnen solcher Emotionen, sondern ihre blitzschnelle Transformation in fruchtbares oder produktives Handeln, wie Erich Fromm sagt und wie Gandhis Reaktion zeigt. Es ist ein Beispiel liebevollen Umgangs mit aufwühlenden Gefühlen. Liebe erst ist die Würze, ja das tiefere Fundament im Leben. Lachen ohne Liebe wäre hohl, Arbeiten ohne Liebe eine Plackerei und Feiern ohne Liebe nur schale Party. Für Weihnachten und Neujahr wünsche ich Ihnen eine liebevolle Feierstunde.

Simon Huber