Harald Rein will neue Wege erkunden

Von Stillstand keine Spur

Still sitzen, das ist definitiv nicht sein Ding. «Als Bischof musste ich oft ­sitzen, ich freu mich, bald mehr auf den Beinen zu sein.» Fotos: Nik Egger

Nun ist es so weit: Der Abschiedsgottesdienst ist gefeiert, die persönlichen Dinge am Bischofssitz verpackt. Im Gespräch mit dem Christkatholisch blickt Harald Rein auf 14 Jahre als Bischof zurück – ausgesprochen gerne aber auch nach vorne.

«Als Bischof musste ich oft sitzen, ich freu mich, bald mehr auf den Beinen zu sein», antwortet Harald Rein auf die Frage, was ihm am Bischofsamt weniger gut gefiel. Tatsächlich sitzen auch wir während unseres Gesprächs, das ein paar Wochen vor seiner Emeritierung am Bischofssitz in Bern stattfindet. Im Besprechungszimmer blicken sechs Männer von der Wand auf uns: seine Vorgänger im Amt des Bischofs der Christkatholischen Kirche der Schweiz. Einige der Männer haben sich im violetten Bischofsgewand abbilden lassen, dazwischen einer im Anzug, ein anderer verschwindet fast im schlichten, schwarzen Gewand im ebenfalls dunklen Hintergrund. Unweigerlich frage ich mich, wie wohl Bischof Harald Rein hier inszeniert sein wird: Ob es gelingen wird, seinen warmherzigen Blick einzufangen, die oft schelmisch blitzenden Augen, ob die Ausgeglichenheit sichtbar wird, die getragen scheint von wohltemperiertem Optimismus. Und auch: Ob ihn das Bild sitzend zeigen wird, wie manche seiner Vorgänger.

Wenn Harald Rein augenzwinkernd über das Sitzen klagt, spielt er nicht in erster Linie auf die vielen Versammlungen und Besprechungen an, wo er von Amtes wegen mitgedacht und mitdiskutiert hat, wo Gedanken ausgetauscht, Verhandlungen geführt und Entscheidungen getroffen wurden. Kreativ zu denken, Lösungen zu suchen, wo andere Probleme sehen, das liegt ihm durchaus. Gewünscht hätte er sich zwischendurch, dass neben dem Tagesgeschäft mehr Zeit geblieben wäre, um Visionen zu entwickeln oder ganz Grundsätzliches neu durchzudenken. Da hätte er sich gerne drangesetzt. Weniger lagen ihm jene Anlässe, wo er als Bischof gleichsam die Verkörperung der Christkatholischen Kirche war, also wortwörtlich nur zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sitzen musste. «Aber auch das ist ein wichtiger Teil des Amtes: Da zu sein und repräsentieren», erläutert er.

Stillsitzen ist nicht sein Ding

Wirklich erfüllend fand er den Austausch mit Menschen wie auch jene Aufgaben, die es ihm erlaubten, unterwegs zu sein; im indischen Kerala zum Beispiel, wo er mit Vertretern der Mar Thoma Kirche im Dialog war. Aber auch an Firmungen in den Gemeinden fühlte er sich wohl: «Der Austausch mit den Firmlingen liess mich am Puls der Zeit bleiben», ist Harald Rein überzeugt. Stillsitzen, das ist definitiv nicht sein Ding. Kein Wunder also, dass er mit Blick auf seine Emeritierung damit liebäugelt, sich einen Hund zuzulegen. Schliesslich liess er es sich auch in hektischen Zeiten nie nehmen, Zeit in der Natur zu verbringen: Um der Schöpfung Gottes nahe zu sein, einerseits, anderseits aber auch, um einen Ausgleich zu finden zur kopflastigen Arbeit.

Ganz grundsätzlich gibt es vieles, worauf sich Harald Rein freut. In den vergangenen Jahren war seine Agenda immer gut gefüllt. Wo er war und mit wem er sich traf, wurde dabei meist vom Amt vorgegeben, der Spielraum für eigene Schwerpunkte war in dieser Hinsicht klein. Mehr Zeit für seine Familie zu haben, gerade auch an den Wochenenden, darauf freut sich Harald Rein besonders. Ob es ihn da nun eher ins Theater oder Kino ziehen wird? Die Entscheidung fällt klar auf Leinwandvergnügen. Doch wer vermutet, Harald Rein sei künftig vor allem an Matinées von Art-House-Filmen anzutreffen, irrt. Schon als seine eigenen Kinder klein waren, mochte er es, mit ihnen im Kino jeweils den neusten Disney-Streifen zu gucken, sich von der Begeisterung der Kleinen anstecken zu lassen. Nun freut er sich, diese Familientradition mit seinen Enkeln wieder aufleben zu lassen.

An alte Traditionen anzuknüpfen, das hätte er sich rückblickend manchmal auch für die Christkatholische Kirche gewünscht. «Wir sind aus einer fast schon revolutionären Bewegung entstanden», sagt er und bedauert, dass dieser Geist zu selten spürbar sei. Im Grunde habe die Christkatholische Kirche nur drei Probleme, sagt er und lächelt dabei verschmitzt. «Die Besucherzahlen der Gottesdienste sind tief, uns fehlen Geistliche und schliesslich auch Menschen, um alle Ämter zu besetzen und Aufgaben zu erfüllen, die in den Kirchgemeinden anfallen», zählt er auf. All das sei im Grunde durch die Säkularisierung unserer Gesellschaft bedingt, einer Entwicklung also, die uns genau so trifft wie unsere Schwesterkirchen und andere Glaubensgemeinschaften. Darüber zu spekulieren, wo unsere Kirche in ein paar Jahren stehen wird, will Harald Rein nicht. So viel aber sagt er: «Es sind schon weit grössere Kirchen als unsere untergegangen und viel Kleinere haben es weit gebracht.»

Platz schaffen für Neues

Klagen ist für Harald Rein allerdings ohnehin kein schlauer Zug, im Gegenteil: «Das ging mir manchmal auf den Keks, wenn bloss den guten alten Zeiten nachgetrauert wurde.» Zu mehr Kritik oder einer harscheren Ausdrucksweise lässt sich Harald Rein allerdings nicht hinreissen. Überhaupt: Ungefragt Ratschläge zu erteilen und lang und breit seine Sicht auf den Stand der Dinge zu verkünden, das sei nun definitiv nicht seine Aufgabe als bald emeritierter Bischof. Natürlich werde er nicht komplett von der Bildfläche verschwinden und auch mal eine Gottesdienstvertretung übernehmen, aber mit seinem Rücktritt nach vierzehn Jahren will er auch wirklich Platz machen für einen neuen Bischof.

«Ich bin sehr vorsichtig damit, neue Aufgaben zu übernehmen», betont er. Trotz spannenden Anfragen will er die neue Leere in der Agenda nicht gleich wieder füllen. Nicht zuletzt freut sich Harald Rein auch darauf, wieder mehr Musse zu haben, nicht mehr ständig ungelöste Probleme und unbeantwortete Fragen im Hinterkopf mitzutragen. Denn so werde endlich auch wieder mehr Platz geschaffen für die persönliche Spiritualität. Ausgerechnet dafür fehlte ihm als Bischof nämlich immer wieder Raum und Zeit. Dennoch hat das Amt, findet Harald Rein, ihn und seine Beziehung zu Gott geprägt: demütiger sei er geworden. Und dankbarer.

Anna Chudozilov


Unterwegs mit Bischof Harald Rein

Am Wegrand: Autobahnkirchen
Von Montag bis Freitag war Bischof Harald Rein oft mit dem Zug unterwegs. Wenn er aber am Wochenende zu einer Firmung, Erstkommunion oder einer anderen Feier in einer Gemeinde eingeladen war, setzte er sich ans Steuer seines Autos. Chorgewand, Bischofsstab und weiteres Material lassen sich so leichter transportieren. Auf der Autobahn fand Harald Rein vor Jahren auch das Thema für seine Dissertation. Darin beschäftigte er sich mit den Gotteshäusern, die seit 1958 in Deutschland in unmittelbarer Nähe von Autobahnen entstanden sind. Die inzwischen über vierzig Kirchen werden jährlich von rund einer Million Menschen besucht. Auf das Thema stiess Harald Rein bei einer Uni-Exkursion ins Elsass, als seine Reisegruppe an einer Raststätte Halt machte. In der Schweiz ist die erste Autobahnkirche übrigens noch in Planung. Initiiert von der Interessengemeinschaft Autobahnkirche Andeer-Val Schons soll das Bauwerk von den Stararchitekten Herzog & de Meuron an der A13 realisiert werden.

Wandern im Dreiländereck
Schon seit langem hat es sich Harald Rein zur Tradition gemacht, einmal im Jahr für eine ganze Weile einen spannenden Winkel unserer Welt zu Fuss zu erkunden. Eine der eindrücklichsten Fernwanderungen führte ihn ins Bergmassiv Kilimandscharo im Nordosten Tansanias. Den höchsten Berg Afrikas zu erklimmen, sei ein ganz besonderes Erlebnis gewesen. Heuer machte sich Harald Rein auf, zwölf Tag lang traditionelles Bergbauerntum und Hirtentraditionen im Dreiländereck von Albanien, Kosovo und Montenegro zu entdecken. Auf alten Jägersteigen und schmalen Hirtenpfaden erwanderte er die wunderschöne Landschaft inmitten von schroffen Kalkgipfeln, oft meisterte er zusammen mit seiner Wandergruppe über 1000 Höhenmeter am Tag. Zentral waren für Harald Rein dabei die Begegnungen mit den Menschen, die in dem immer wieder durch nationale Konflikte erschütterten Grenzgebiet leben. Beeindruckt habe ihn die Aufbruchstimmung, die Begeisterung für Europa, die in dem Dreiländereck stark zu spüren sei.

Die Welt in Büchern entdecken
Viel zu lesen gehört für einen Bischof zum Berufsalltag. Neben Korrespondenz und Berichten sind es oft lange theologische Abhandlungen, die gelesen und verstanden werden wollen. Harald Rein, der 2009 von der Universität Bern zum Privatdozenten für Praktische Theologie ernannt wurde, stand lange mit einem Fuss im akademischen Feld. In seiner Freizeit wälzt Harald Rein dann allerdings nicht auch noch dicke Romane. Viel lieber sind ihm Kurzgeschichten wie jene von Ernest Hemingway, die er gerade am Lesen ist. Immer wieder und sehr gerne vertieft sich Harald Rein auch in Lyrik – eine oft schnell aufgetischte Kost, die dennoch nahrhaft ist. Aktuell hat es ihm das Lesebuch «Mein Lied geht weiter» von Mascha Kaléko angetan, das hundert Gedichte der für Grossstadtlyrik bekannten Dichterin versammelt.