Demut und Gewissheit

Bild: Matthias Grünewald (ca. 1475/80 – ca. 1530): Der Täufer Johannes (Detail vom Isenheimer Altar, um 1513), Unterlindenmuseum, Colmar.

Was für ein Mensch!
Struppig und kraftvoll.
Abgerissen die Kleider.
Unangepasst seine Worte.
Frei redet er.
In das Gewissen des Mächtigen:
«Es ist dir nicht erlaubt!»
Johannes zögert nicht,
an den Rand zu gehen.
An die Grenzen der Kultur.
Bis an die Grenzen der Wüste.
Karges Leben.
Durch nichts verstellt.
Doch er nährt die Sehnsucht von vielen.
Nach Wahrheit, nach Ehrlichkeit.
Nach Umkehr und Neuanfang.
Lebens-Autorität.
Er trägt keine nutzlosen Würden.
Keine Eminenz mit weiss-weichem Fleisch.
Kein wiegend-bedeutsames Schreiten.
Er steht im kantig Weg.
Weil es sein Platz ist.
Dem Echten, dem Gottestraum zuliebe.
Johannes widersteht tiefster Versuchung.
Er hält sich selbst nicht für wichtig.
Für wichtiger schon gar nicht.
Er weiss: Einer ist grösser.
Der soll wachsen. Nicht ich.
So kann er leben.
Frei. Wild. Aufrecht.
Selbstoptimierung quält den Täufer nicht.
Er ist er.
Das ist er gewiss.
Deshalb lebt er die Demut.
Kein Kampf um Ansehen.
Kein Feilschen um Macht.
Du, Herr, sollst wachsen.
Weil Du alles bist, kann ich nichts sein.
Du, die Liebe.

Pfarrer PD Dr. Michael Bangert