Ökumene ist kein Einheitsbrei

Interview mit Prof. Dr. Nicola Ottiger

Prof. Dr. Nicola Ottiger leitet das Institut seit gut zwei Jahren. Es ist eine «kleines, aber feines» Institut, das 1998 von der evangelisch-reformierten und der römisch-katholischen Landeskirche, von der Christkatholischen Kirchgemeinde sowie vom Kanton Luzern gegründet wurde. Foto: Jakob Ineichen

Für die neue Leiterin des Ökumenischen Instituts Luzern,
Prof. Dr. Nicola Ottiger, hatte Ökumene schon immer eine grosse Selbstverständlichkeit.

Niklas Raggenbass: Wie sind Sie zur Ökumene gekommen?
Nicola Ottiger: Meine Familie kommt aus der römisch-katholisch geprägten Zentralschweiz, aus Obwalden. Meine Eltern sind aber nach Romanshorn in den Kanton Thurgau gezogen, der konfessionell paritätisch ist. Hier erlebte ich nicht nur einen offenen Katholizismus, sondern eine selbstverständliche Nähe zu den Reformierten. In der Schule waren die Hälfte der Schülerinnen und Schüler reformiert, die andere Hälfte römisch-katholisch. Auch arbeiteten die römisch-katholische und die reformierte Gemeinde gut zusammen.

Die Ökumene habe ich aber auch in der Verwandtschaft. Ein Teil der Familie ist christkatholisch. Mein Onkel Urs Niggli war viele Jahre im Kirchgemeinderat Solothurn und Kirchgemeindepräsident. In den Ferien bei meinen Cousinen ging ich immer mit zum christkatholischen Gottesdienst in der schönen Solothurner Franziskanerkirche.

Wieso haben sie Theologie studiert?
In meiner Heimatpfarrei habe ich mich sehr in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert und wurde so durch und durch kirchlich sozialisiert. Beruflich habe ich zuerst eine Lehre als kaufmännische Angestellte gemacht und anschliessend mehrere Jahre das Sekretariat der Bundesleitung der «Jungen Gemeinde» in Zürich geleitet, dem damals grössten katholischen Jugendverband der Schweiz. Da habe ich u. a. mit dem heute bekannten spirituelle Autor Pierre Stutz zusammengearbeitet. Dieses Umfeld hat mein Interesse für lebensphilosophische und theologische Fragen weiter genährt. Ab 1994 habe ich in Luzern römisch-katholische Theologie studiert. Ohne Matura waren die Anforderungen strenger, die alten Sprachen Latein, Althebräisch und Altgriechisch mussten nachgeholt und viele zusätzliche Vorlesungen, zum Beispiel in Philosophie, besucht werden. Aber es war toll! In Luzern lernte ich eine moderne und spannende Theologie kennen, die sich nicht scheute, auch heisse Eisen anzupacken. Nach meiner Doktorarbeit im Fachbereich Dogmatik habe ich 2005 als Dozentin am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Theologischen Fakultät Luzern angefangen.

Wie sind Sie von der Religionspädagogik zur Ökumene gelangt?
Das berufsbegleitende Studium am RPI ist eine Besonderheit der römisch-katholischen Ausbildungswege. Die Studierenden schliessen mit einem Diplom oder Bachelor in Religionspädagogik ab und arbeiten damit in Religionsunterricht, Katechese, Erwachsenenbildung oder in der kirchlichen Jugendarbeit. In «meinen» Fächern war es mir immer ein Anliegen, Fragen der Ökumene zu behandeln und auch Referent:innen der anderen Konfessionen einzuladen. Bei uns studieren übrigens auch Reformierte und selbstverständlich wären auch christkatholische Studierende willkommen.

Welche Bedeutung hat für Sie die Ökumene?
Persönlich war mir schon vor dem Theologiestudium klar, dass die römisch-katholische Kirche ein «Frauen-Problem» hat. Als die Christkatholische Kirche der Schweiz just zu meinem Studienabschluss im Jahr 2000 die erste Frau weihte, kam nicht nur von meinem christkatholischen Onkel, sondern sogar von Priesteramtskandidaten in meinem Kurs die Frage, ob ich nicht konvertieren wolle. Doch das war für mich kein Thema: Die römisch-katholische Kirche ist meine «Familie». Ich wollte mich für Veränderungen in der eigenen Kirche einsetzen. Durch die Beschäftigung mit Theologie und Ökumene meine ich immer besser verstanden zu haben, dass alle Kirchen ihre Stärken und Schwächen haben und aufeinander angewiesen sind. Statt Konversion also Ökumene.

Was tun Sie als Leiterin des Ökumenischen Instituts Luzern?
Ich leite das Institut seit gut zwei Jahren. Es ist eine «kleines, aber feines» Institut, das 1998 von der evangelisch-reformierten und der römisch-katholischen Landeskirche, von der Christkatholischen Kirchgemeinde sowie vom Kanton Luzern gegründet wurde. Eine Besonderheit! Das Institut widmet sich nicht nur der akademischen Forschung zur Ökumene, sondern ist auch praxisbezogen. Das ist wichtig, denn Ökumene ist nicht «l’art pour l’art». Nebst wissenschaftlichen Tagungen finden öffentliche Veranstaltungen mit aktuellen und relevanten Themen für die Hauptamtlichen der Kirchen wie für kirchlich oder gesellschaftlich Interessierte statt. Ökumene wurzelt zwar in der innerchristlichen Ökumene, aber sie beschäftigt sich ebenso mit dem Zusammenleben mit anderen Religionen sowie säkularisierten Teilen der Gesellschaft. Wie werden wir nicht nur als Kirchen, sondern als Menschheit eine «Einheit»? Ökumene war früher ein Thema für Pioniere. Ich bin überzeugt, das ist immer noch so.

«Ökumene» tönt aber wohl für einige wie etwas «Verstaubtes», oder?
Dieses Verdikt trifft dann aber auch die Kirchen selbst, nicht? Man meint, Kirchen seien veraltet und überflüssig. Gleichzeitig ist es vielen Gläubigen hüben wie drüben verleidet, weil in der Ökumene «nichts vorwärts geht». Warum feiern wir nicht miteinander Eucharistie? Theologisch lässt sich das ohne weiteres erklären. Doch an der Basis ist das längst nicht mehr nachvollziehbar. Ein Problem ist, dass theologisch breit anerkannte Erkenntnisse nicht in die Praxis umgesetzt werden. Da fehlt nicht wenigen Kirchenleitungen der Mut.

Natürlich gibt es mit Blick auf den ökumenischen Prozess weltweit Herausforderungen, mit denen man sorgfältig umgehen muss. Es geht immer nur ein Schritt nach dem anderen. Aber dieser Prozess dauert länger, als man es sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965), mit dem die römisch-katholischen Kirche als letzte der grossen Kirchen in den ökumenischen Prozess eingestiegen ist, erhofft hat. Trotz Enttäuschungen gibt es zum ökumenischen Weg keine Alternative. Das ist mehr als Zweckoptimismus: Ökumene ist eine zutiefst christliche und spirituelle Angelegenheit.

Was können wir denn konkret tun?
Auf den verschiedenen Ebenen der Kirchen: alles, was man tun kann! Auch an der sogenannten Basis würde noch viel mehr gehen. Wir bedauern, dass die gemeinsame Feier der Eucharistie nicht möglich ist: Doch wie oft beten und feiern wir denn tatsächlich gemeinsam? An manchen Orten gibt es eine Zusammenarbeit im ökumenischen Religionsunterricht an den Schulen. Die Christkatholische Kirche ist am ökumenischen Ausbildungsgang für Katechetinnen und Katecheten in der Nordwestschweiz, OekModula, beteiligt. Das ist vorbildlich.

Aber Hand aufs Herz: Ist man nicht in «seiner» Kirche daheim und Ökumene bleibt, auch für die hauptamtlichen Kirchenleute, ein Nebenthema? Wie weit trägt der ökumenische Elan, die mutige Experimentierfreude? Aufgrund der schwindenden Mitgliederzahlen werden Fragen auf uns zukommen beispielsweise nach dem Umgang mit den vielen Kirchengebäuden, die nicht mehr finanziert werden können. Warum nicht näher zusammenrücken? Letztlich stellt sich die Frage, ob wir am Schluss als kleine christliche Grüppchen nebeneinander her leben wollen.

Das Ziel wäre also, nur noch eine christliche Kirche zu haben?
Es geht nicht um einen «Einheitsbrei»! Das dürfte wohl bei vielen die Angst sein, wie auch die Angst vor Vereinnahmung. Aber biblisch gesehen ist die Kirche Christi letztlich eine, ohne Spaltungen und Aversionen. An vielen Bibelstellen geht es um Einheit in Vielfalt. Christus und den Menschen gegenüber sind wir da in der Pflicht. Ich habe aber das Gefühl, dass die Möglichkeiten, die uns etwa eine «Charta Oecumenica» (2001, vgl. Artikel Seite 8 f.) für das Vorankommen bieten würden, mit ihr in den berühmten Schubladen verstauben.

Was ist die «Charta Oecumenica»?
Die christlichen Kirchen Europas haben sich zu Beginn des 3. Jahrtausends verpflichtet, auf dem ökumenischen Weg voranzuschreiten, auf dem Weg zur sichtbaren Einheit, und das zusammenwachsende Europa im Dialog mit allen Kulturen und Religionen zu unterstützen.

Zum Schluss: Was wünschen Sie sich?
Dass uns keine Verlustängste regieren und wir mehr Mut und Freude aufbringen, gemeinsam die Grösse des christlichen Glaubens zu entdecken. Für mich ist der ökumenische Geist der Auferstehungsgeist Christi. Unsere konfessionelle Identität ist wertvoll, wenn alle ihre Gaben einbringen. Das Wachsen im christlichen Glauben geht nur gemeinsam mit den christlichen Geschwistern. Ich wünsche mir, mehr miteinander Christen zu sein, und dass ich einen wirklich grossen Durchbruch in der Ökumene noch erleben darf.

Niklas Raggenbass