Raus aus der Komfortzone!

Mit über 40 Jahren ein Theologiestudium zu beginnen, ist ein Wagnis. Eines, das sich lohnt. Ein Erfahrungsbericht nach anderthalb Jahren Studium.

Im September 2017 sass ich in meiner ersten Theologie-Vorlesung – fast auf den Tag genau 20 Jahre, nachdem ich in den gleichen Räumen der «Unitobler» ein geisteswissenschaftliches Studium begonnen hatte. Es war eine Rückkehr – und zugleich der Eintritt in eine neue Welt. 

Konfessionelle und religiöse Vielfalt in der Theologischen Fakultät

Beruhigend war: Ich war nicht die einzige «alte Tante» im Seminarraum. Ich schätze, dass etwa ein Viertel der rund 100 Studierenden, die zurzeit an der Theologischen Fakultät in Bern ein Bachelor- oder Masterstudium absolvieren, älter sind als 35 Jahre. Dies hängt auch damit zusammen, dass seit ein paar Jahren das Studium für Personen mit einem Berufsabschluss auf anderem Gebiet stark gefördert wird.

Die Fakultät ist nicht nur altersmäs­sig gut durchmischt, sondern auch konfessionell: Neben der kleinen Gruppe der ChristkatholikInnen und der Mehrheit der Evangelisch-Reformierten gibt es anglikanisch, orthodox, lutherisch, methodistisch, römisch-katholisch oder freikirchlich geprägte Studierende und Dozierende. Ein Professor und zwei Assistierende sind jüdischen Glaubens und auch muslimische Studierende absolvieren den Studiengang Interreligious Studies. 

Auffallend ist, wie viele Studierende eine religiös «wechselhafte» Biografie haben. Viele reformierte KommilitonInnen stammen ursprünglich aus Freikirchen, einige haben einen Teil ihres Studiums an der römisch-katholischen Fakultät in Fribourg absolviert. Andere haben, so wie ich, einen römisch-katholischen Hintergrund und streben nun das Pfarramt in einer anderen Landeskirche an.

Austausch mit den «Anderen»

Damit ist die Theologische Fakultät auch ein Spiegel der Gesellschaft, in der religiöse Pluralisierung und die Überwindung konfessioneller Grenzen längst zum Alltag gehören. Die «hausinterne» Vielfalt könnte, so scheint es mir, noch mehr als Chance begriffen und aktiv gepflegt werden. Bei den Reformierten verhindern Vorbehalte zwischen «liberalen» und «evangelikalen» Studierenden oft den Austausch. Als Christkatholikin bin ich hier in einer neutraleren Position, ich erlebe viel Offenheit und Interesse an meiner Tradition. 

Im Studienalltag spielen die weltanschaulichen und konfessionellen Unterschiede oft auch keine Rolle: Beim Wörterbüffeln und bei der Lektüre anspruchsvoller Texte sitzen wir alle im gleichen Boot. Das Studienprogramm ist intensiv und vielseitig: Dieses Semester besuche ich unter anderem einen Predigtworkshop, ein Seminar zu «Change Management», eine Vorlesung über «Körper und Ethik», ein Exegese-Proseminar und einen Grundkurs zu den paulinischen Briefen. 

Orthodoxe und christkatholische DenkerInnen

Als grosse Horizonterweiterung empfinde ich die Auseinandersetzung mit orthodoxer Theologie, die am Institut für Christkatholische Theologie angeboten wird. In Veranstaltungen unserer neuen Assistenzprofessorin Georgiana Huian, beim Gastdozierenden Daniel Buda oder beim Assistenten Stefanos Athanasiou haben sich mir neue theologische Welten eröffnet. Zum Beispiel über Fragen der Dreifaltigkeit nachzudenken und dabei an die Grenzen des Denk- und Sagbaren zu gehen. Oder zu erkennen, wie anders als in Westeuropa der Prozess der Säkularisierung in Ländern Osteuropas ist, die vom kommunistischen «Staats-atheismus» geprägt waren.

Das Studium bietet mir aber auch die Möglichkeit, tiefer in meine eigene christkatholische Tradition hineinzuwachsen: Vergangenes Semester hat mich das Denken von Anny Peter (1882-1958) stark berührt, der langjährigen Präsidentin des Christkatholischen Frauenverbands und Stifterin des Berghüsli. Kirche war für Anny Peter nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches, an dem alle Mitglieder – seien es Laien oder Priesterinnen – laufend mitwirken und mitgestalten. Das dynamische und engagierte Kirchenverständnis der Christkatholikin Anny Peter ist mir ein Vorbild. Sich selber in Frage zu stellen, mit anderen Menschen in Beziehung zu treten und sich aus der Komfortzone der eignen Weltanschauung herauszubewegen: Das ist es, was ich am Theologiestudium schätze. Und dafür ist das ökumenische Umfeld der Theologischen Fakultät Bern ein wunderbares Labor.

Stefanie Arnold