Trauen wir uns?

Workshop zur «Ehe für alle» in Bern

 

Welche spirituellen Bedürfnisse haben homosexuell empfindende Menschen? Was erwarten oder erhoffen sich gleichgeschlechtliche Paare und LGBTIQ*-Menschen von der Kirche für ihre Partnerschaft? Wenn in der christkatholischen Kirche die «Ehe für alle» diskutiert wird, ist es entscheidend, Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen zu kennen.

«Trauen wir uns? Ein Workshop für Queer-Einsteiger*innen» – dies der Titel eines Abends, den die Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz und hab queer bern am 11. Oktober in Bern organisierten. Menschen der LGBTIQ*-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Inter, Queer) haben in ihrer Biographie oft negative Erfahrungen mit Kirche und Religion gemacht: verurteilt, ausgegrenzt, nicht ernst genommen.

Niederschwelliges Angebot

Umso wichtiger war dem Vorbereitungsteam ein niederschwelliger Workshop, in dem sich die Teilnehmenden willkommen fühlen. Auch heterosexuelle Menschen waren eingeladen, doch in erster Linie in der hörenden Rolle: Die LGBTIQ*-Menschen sollten ihre Anliegen artikulieren können und dabei auf offene Ohren stossen, nicht auf besserwisserische Stimmen.

Ungefähr 25 Personen versammelten sich im Kirchgemeindehaus in Bern. An vier Thementischen wurden verschiedene Aspekte diskutiert: «Was verstehen wir unter einer Lebensgemeinschaft?» das Eheverständnis, persönlich, gesellschaftlich und religiös, kam hier zur Sprache. «Warum trauen wir uns – oder nicht?» – hier ging es um die Gründe, warum Paare einen kirchlichen Segen für ihre Partnerschaft wünschen. «Wie trauen wir uns?» – der Ritus, Segensgebete und Symbolhandlungen wurden diskutiert. «(Ver)Trauen wir der Kirche?» – ein Austausch über positive und negative Erfahrungen, welche LGBTIQ*-Menschen mit und in der Kirche gemacht haben. In vier Gruppen zogen die Teilnehmenden von einem Tisch zum nächsten, diskutierten die Frage und notierten wichtige Punkte direkt auf einem grossen Plakat.

 

Es war eine vielgestaltige bunte Gruppe, daher wurde auch eine Vielfalt von Meinungen sichtbar. Es gab aber auch eindeutige Punkte: Eine Partnerschaftssegnung für homosexuelle Paare beziehungsweise LGBTIQ*-Menschen soll kein «Sonderzüglein» neben der heterosexuellen Ehe sein, das würde wiederum als ausgrenzend empfunden. Vielmehr war der klare Wunsch, dass die «Ehe für alle» auch in der Kirche eine Handlung mit einem Ritus sein solle, für alle Paare. Gern mit unterschiedlichen Varianten – niemand sucht die sture Gleichschaltung –, doch sollen sie als «Varianten des gleichen» erkennbar sein und sich nach der Lebenssituation und den Wünschen des Paares richten, nicht nach der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität.

Wertvolle Impulse

Nach der thematischen Arbeit gab es einen Apéro, gestiftet von der Kirchgemeinde Bern und serviert von christkatholischen Jugendlichen. Im informellen Gespräch ging der Austausch weiter. Aus dem Workshop kommen wertvolle Impulse für die weitere Diskussion in der christkatholischen Kirche. Die Anliegen aus dem Workshop fliessen in die ausserordentliche Session der Nationalsynode vom 7. März 2020 ein.

Adrian Suter

 


Was sagen die Teilnehmer?

 

Meinen ganz herzlichen Dank an das tolle Workshop-Team sowie allen Menschen* in der christkatholischen Kirche, die diesen Anlass ermöglicht haben! Und dass Ihr Euch – getreu dem Workshop-Motto – «getraut» habt, Euch darauf einzulassen 🙂 Ich habe die Form & Auseinandersetzung mega inspirierend gefunden – und habe mich sehr gefreut, dass das in der «bunt» zusammengewürfelten Gruppe auch so offen und unvoreingenommen funktioniert hat.

Ich wünsche uns Allen und besonders der Christkatholischen Kirche, dass diese tollen Dinge eine nachhaltige Wirkung entfalten dürfen und dass es noch viel mehr «Buntheit» geben darf… 🙂

Thomas*, trans*nonbinär


Für Eure Initiative, diesen Abend in Bern durchzuführen, möchte ich Euch herzlich danken. Auch wenn ich etwas früher wieder nach Hause fahren musste, habe ich viele Gedanken und Impulse mitgenommen. Mindestens in der Gruppe, die ich erlebt habe, habe ich gespürt welche Verletzungen auch die Kirche bei diesen Menschen hinterlassen hat. Ich bin noch überzeugter als vorher, dass an der Sondersynode, Lesben und Schwule unbedingt zum Wort kommen müssen, ohne diese Inputs geht es nicht. Heteros haben keine grosse Ahnung, wie oft Homosexuelle ausgegrenzt, beleidigt und verletzt werden. Ein Dialog ist dringend notwendig, sonst kommt auch die Kirche in diesem ganzen Themenkomplex nicht voran. Die Zeit ist reif für einen Meinungsaustausch, die Bühne ist vorhanden, nun gilt es beiderseits Mut, Achtsamkeit und Ernsthaftigkeit zu beweisen. Das war ein guter und ernsthafter Anfang.

Urs Stolz


Der Workshop war auch für mich als Teil des Vorbereitungsteams ein berührender Anlass. Es fanden viele engagierte, aufrichtige und interessierte Gespräche statt. Dass sich die christkatholische Kirche entschieden hat, nicht nur über Lesben, Schwule und andere LGBTIQ-Menschen zu sprechen, sondern mit ihnen, war ein wichtiges Signal. Verschiedene Workshopteilnehmer*innen haben das in ihren persönlichen Rückmeldungen positiv hervorgehoben. Wir konnten zeigen, dass die Kirche ein Ort ist, an dem alle Menschen willkommen sind.

Stefanie Arnold, lesbisch


Nach dem Workshop «Trauen wir uns?» war ich überzeugt: «Ja, die trauen sich bei der Christkatholischen Kirche was». Es ist grossartig, Menschen, die sich bei ihrer sexuellen Orientierung nicht in die Schublade «heterosexuell» einordnen, zu diesem Workshop einzuladen und uns anzuhören. Herzlichen Dank dafür!

Äusserst an- und aufregend fand ich die Äusserungen von Urs von Arx und die Diskussion mit ihm. Wir Homosexuellen seien doch stolz auf unser Anderssein und feierten dies auch weltweit mit unseren Prides. Daher sei es für ihn unlogisch, dass wir von der Kirche das «Gleiche» wollen, wie den Heterosexuellen geboten werde. Sind wir aus dem theologischen Standpunkt aber wirklich «besonders» und brauchen eine «Sonderbehandlung»? Und stolz sind wir ja eigentlich vor allem darum, um in dieser Gesellschaft zu (über)leben.

Wichtig für Urs von Arx war auch zu erfahren, wo und bei welcher Gelegenheit wir Schwulen und Lesben diskriminiert werden. «Bei der Ungleichbehandlung in Kirchen etwa», sagte ich darauf. «Und auch, weil doch die heteronormative Mehrheitsgesellschaft in grossen Teilen noch immer homophob ist!»

Daniel Frey, schwul


Ich bin schon vor Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, aber der Workshop der christkatholischen Kirche interessierte mich, weil sie sich offen gegenüber Homosexuellen zeigt und ein echtes Interesse an den Rückmeldungen zur ‚Ehe für alle‘ an den Tag legt: Dass eine Landeskirche – egal, wie klein sie ist – einen so professionellen, authentischen und wohlwollenden Abend organisiert, an dem die verschiedensten Stimmen berücksichtigt wurden, beeindruckte mich. Daran können sich manch andere Institutionen ein Beispiel nehmen.

Steffi


Mir hat es Spass und Freude bereitet, den Abend vorzubereiten und durchzuführen. Viel Lachen verbunden mit einem achtsamen und liebevollen Miteinander und auf die Schippe-nehmen zeigen für mich das Einstehen für die Sache. Ich habe den Abend bereichernd in Erinnerung. Ich war froh, dass 20 Teilnehmende am Workshop teilgenommen habe. In der Gruppe, in der ich dabei war, habe ich mit zum Teil provokativen Aussagen versucht was wirklich bewegt von den Teilnehmenden heraus zu kitzeln. Für mich hat der Abend neben den von uns gesteckten Ziel «eine Diskussionsgrundlage für die Sondersynode» und meine persönliche Hoffnung «ohne Tabu und Angst einfach mitteilen dürfen» erreicht.

Patrick Zihlmann