Ewige Wahrheit gegen Lust und Liebe

Pünktlich zum 50. Jahrestag des päpstlichen Lehrschreibens «Humanae vitae» publiziert Bischof Vitus Huonder ein Bischofswort mit dem er nicht nur die Empfängnisverhütung geisselt, sondern auch die päpstliche Unfehlbarkeit zelebriert.

Kommentar und Versuch einer zeitgemässen Sexualethik aus christkatholischer Sicht

Das Bischofswort hat den Charakter einer Jubiläums- oder Gedenkschrift. Huonder sei es gedankt, dass es ihm damit wieder einmal gelingt, für Diskussionen zu interessanten Themen zu sorgen, was seinen moderneren Amtskollegen leider kaum gelingt. 

Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters

Aus seinem Titel, der «Humanae vitae. Ein bleibendes Paradigma» lautet, geht die zweifache Stossrichtung des Schreibens hervor. Wie einst Papst Paul VI 1968 mit seiner Enzyklika «Humanae vitae», schreibt Huonder in seinem Bischofswort aus einer äusserst konservativen Haltung heraus gegen die künstliche Empfängnisverhütung. Dieses sensible Thema nimmt in Huonders Jubiläumsschrift viel Platz ein und verleitet leicht dazu, den zweiten wesentlichen Aspekt des Wortes des Bischofs von Chur zu überlesen, dass nämlich die päpstliche Lehre von damals ein «bleibendes Paradigma» sei. Indem Huonder der Enzyklika Pauls des VI eine «prophetische Bedeutung» zuschreibt, versucht er ihre Inhalte als abschliessend wahr und unfehlbar darzustellen.

Der konservative Alleingang der Unfehlbaren

Huonder schreibt in seiner Gedenkschrift von «der Lehre der Kirche», wenn er sich auf die Enzyklika «Humanae vitae» bezieht. Dies ist kritisch zu hinterfragen, da bereits Paul VI in «Humanae vitae» eher seine eigene Lehre vertrat, als jene der Kirche. Dass nun auch Huonder im Alleingang eine Jubiläumsschrift auf das konservative Lehrschreiben aus Rom veröffentlich, legt die Vermutung nahe, dass es sich auch dabei eher um die persönliche Vorliebe Huonders handelt. Entsprechend der auf Reproduktion begrenzten und traditionsbetonten Methodik konservativer Kirchenkreise fehlen im Wort von Bischof Vitus bahnbrechende Perspektiven auf die Empfängnisverhütung.

Huonder charakterisiert die Ehe genau gleich wie Paul VI. Im Charakteristikum Fruchtbarkeit liegt dann der Diskussionsstoff, denn ihretwegen ermutige die Kirche, so schreibt es der Bischof von Chur, «die Eltern zu einer grösseren Kinderzahl, aber sie respektiert auch berechtigte Gründe für wenige Kinder». Verhüten dürfen Eheleute aus Sicht Huonders aber nur auf sogenannt natürliche Weise, das heisst durch sexuelle Enthaltsamkeit an den fruchtbaren Tagen der Frau.

Das Paradigma ist wichtiger als die Sache

Die Reaktion darauf kann daher auch nicht viel anders ausfallen als 1968: Humanae vitae und Huonders Wort stellen in den Augen vieler einen bevormundenden Eingriff in die Privat- und Intimsphäre der Eheleute seitens kirchlicher Vertreter dar. Vielleicht wird es hier am deutlichsten, dass es Huonder mehr darum geht, eins seiner Lieblings-Paradigmen zu zelebrieren und zu zementieren, als sich eingehend mit Sexualität und gelingender Ehe auseinanderzusetzen.

Mehr Lust und Liebe anstatt zweckdienliche Moral

Künstliche Verhütungsmittel tragen mehr zur Freude am Ehegatten oder Partner sowie zum Erhalt von Ehen und Liebesbeziehungen bei, als es das Paradigma, das Huonder transportiert, jemals zulassen könnte. Wo dies der Fall ist und Liebende dadurch Glück erlangen, kommt dies auch allfälligem Nachwuchs zugute.

Ob fruchtbare Paare Kinder zeugen, hängt nicht nur von der verwendeten Verhütungsmethode ab, sondern auch von ihrem Willen, den sozialen Umständen, dem finanziellen Vermögen, dem persönlichen Gesundheitszustand, davon, ob es diesmal überhaupt klappt, anderem und vor allem ihrer Liebe zueinander. 

Wenn Liebende miteinander schlafen ist das bestenfalls auch Ausdruck ihrer Liebe zueinander, umso mehr, wenn sie es aus purer Lust aneinander tun.

Es braucht keine kirchlichen Vorschriften, die Eltern moralisch unter Druck setzen, damit sie mehr Kinder zeugen, oder die Homo- und Andereswiesexuellen zur Asexualität verdammen, nur damit ein idealisiertes Eheparadigma erhalten bleibt, das längst überholt ist.

Wenn der Liebesakt auf die Zeugung von Nachkommen reduziert wird, wird das Ehesakrament im Extremfall teilweise zum Objekt der Fortpflanzungstechnik degradiert, um den Aspekt der gegenseitigen Zuneigung betrogen und sinnentleert.

Pfarrer Lenz Kirchhofer