Quereinsteiger sind eine Bereicherung

Sudierende, die wie früher einen «klassischen Studiengang» absolvieren, sind heute selten geworden. Die Erfahrungen heutiger Studierender sind konfessionell durchmischter. Das gilt auch für jene, die als «Quereinsteiger» zu unserer Kirche finden. Es sind keine «Branchenfremden», sondern Theologinnen und Theologen aus anderen Konfessionen, die für unsere Kirche eine Bereicherung darstellen. 

Viele Jahrzehnte lang war es der Normalfall, dass christkatholische Theologen ihr ganzes Studium an der Universität Bern absolvierten. Ältere Geist­liche können noch ein Lied davon singen, wie sie gemeinsam mit anderen Christkatholiken durch das Studium in Bern gingen, gemeinsam Mitglied der Catholica Bernensis waren und gemeinsam im Studentenheim wohnten. Die Erfahrung einer umfassenden christkatholischen Prägung in Kindheit, Studium und späterer pfarrlicher Berufswelt teilen heute immer weniger christkatholische Geistliche. Heute hat eine derartige Deutungskompetenz in anderer Weise zu geschehen; denn die Bedingungen sind anders geworden: Die Erfahrungen heutiger Theologiestudierender sind stärker konfessionell «durchmischt», wie nicht zuletzt der Beitrag von Stefanie Arnold (Christkatholisch Nr. 9) zeigt. Das Theologiestudium ist zum Spiegelbild einer Gesellschaft geworden, in der Kirchen eine andere Rolle erfüllen als früher. Christkatholische Studierende sollen in einem breit angelegten akademischen Studium (Christkatholisch Nr. 7 und 8) auf diese vielfältigen Erfahrungswelten und Arbeitsfelder vorbereitet werden.

Doch zugleich stellt sich die Frage, wie das Christkatholische im Studium und in der Kirche sichtbar und erfahrbar bleibt. Wie und wo werden christkatholische Spezifika oder ein christkatholisch durchdrungenes Lebensgefühl vermittelt? Was macht das Christkatholisch-Sein überhaupt aus? Von aussen mag es manchen vielleicht so scheinen, als stünde der Christkatholizismus für alles Nichtrömische. Von innen gesehen ist die Sache komplizierter: Denn der Christkatholizismus hat in den 150 Jahren seiner kirchlichen Eigenexistenz eine eigene Kirchlichkeit entwickelt, die im Leben der Kirche und in der Theologie sichtbar wird. Wie ist das zu lernen und wie zu vermitteln? Und an wen soll es vermittelt werden?

… und die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger?

Seit einigen Jahren melden sich zunehmend Personen aus anderen Kirchen, die in der christkatholischen Kirche Pfarrer oder Pfarrerin werden wollen. In der geltenden Ordnung unterscheiden wir Pfarrpersonen aus Kirchen, mit denen wir in Gemeinschaft stehen, und solche aus Kirchen, mit denen wir nicht in Gemeinschaft stehen. Denn bei ersteren setzen wir eine Verwandtschaft in Vorwissen und Amtsverständnis voraus. Kommt zum Beispiel ein altkatholischer Pfarrer aus den Niederlanden, so bringt
er grundlegende Kenntnisse über ­Kirchenverständnis und Liturgie mit. Kommt jemand aus einer anderen Kirchenfamilie, ist dies weniger selbst­verständlich: Römisch-katholische Theologen haben sich im Studium in der Regel nicht mit der Problematik des Ersten Vatikanums befasst, reformierte Theologinnen sind eine andere liturgische und Predigtpraxis gewohnt. Auflagen, sich durch ein Ergänzungsstudium in die Gegebenheiten und Spezifika am Schweizer Standort einzuarbeiten, dienen dazu, sich mit dem neuen Berufsfeld vertraut zu machen. So ist es z. B. in Bern üblich, dass «Quereinsteiger» nicht nur Veranstaltungen in Geschichte des Altkatholizismus, Schwerpunkte christkatholischer Dogmatik und Liturgie belegen, sondern auch – aufgrund der ökumenischen Nähe und kirchlichen Verbundenheit – Seminare zu Anglikanismus und Orthodoxie.  Auch Kirchenrecht wird bisweilen angeboten. Jede Anfrage wird individuell sur dossier behandelt.

Wir sprechen hier von «Quereinsteigern». Das Wort bedeutet eigentlich, dass jemand mit branchenfremdem Fachwissen an einem anderen Ort eingesetzt wird als in dem, in dem er ausgebildet ist. Die Quereinsteigerinnen in unserer Geistlichkeit kommen nicht aus einer anderen «Branche», sondern eher von einer anderen «Firma» mit einer eigenen Firmenkultur. Eine Willkommenskultur kennt immer zwei Seiten: Die einen müssen kommen wollen und etwas mitbringen, die anderen haben die Aufgabe, ein gutes Funktionieren zu gewährleisten. Zu Letzterem gehört, dass sich solche «career changers» einleben in unser kirchliches Leben und sich das aneignen, was sie für eine gedeihliche Arbeit als Theologe und Pfarrerin brauchen. Ziel ist es, dass sie als Vertreter und Botschafterinnen unserer Kirche und Theologie erkennbar nach innen und nach aussen auftreten. Quereinsteiger sind eine Bereicherung für unsere Kirche, weil sie ein Stück ihrer bisherigen kirchlichen Prägung einbringen.

Prof. Dr. Angela Berlis