Manuela Petraglio: achtsam, mutig und offen für Neues

«Wenn du Menschen fischen willst, musst du dein Herz an die Angel hängen!»

Manuela Petraglio, Synodalratspräsidentin der Christkatholischen Kirche der Schweiz über zwölf Jahre. Fotos: Nik Egger

Wenn Manuela Petraglio aus Magden von der christkatholischen Kirche erzählt, merkt man schnell, mit wieviel Herzblut sie den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten verbunden ist. Die langjährige Synodalratspräsidentin weiss, dass wir für unser Christsein bei aller Liebe für Traditionen immer offen sein müssen für Neues, achtsam im Miteinander.

Niklas Raggenbass: Die christkatholische Kirche St. Martin in Magden könnte nicht schöner gelegen sein. Wir sehen das Dorf mit seinen Wegen, Feldern und Häusern. Sie alle erzählen uns Geschichten von Menschen in Freud und Leid. Hier haben sie vieles erlebt und mitgetragen. Wie oft hören Sie die Glocken der Kirche, die grad zu läuten beginnen?
Manuela Petraglio: Das kann ich nicht mehr zählen. Die Kirche und alles, was mit ihr zusammenhängt, hat mein Leben geprägt. Mein Vater und dessen Eltern haben diese Glocken noch von Hand zum Schwingen gebracht.

Sind Sie denn in Magden aufgewachsen?
Geboren bin ich in Basel, doch aufgewachsen in Magden in einer durch und durch christkatholischen Familie. Die Familie meines Vaters, Ernst Bürgi, hat das Sigristenamt geführt, dem neben dem Pfarrer eine ganz besondere Bedeutung zukam. Mein Grossvater war auch der «Sigerscht», danach war meine Grossmutter, die Mutter meines Vaters, über 50 Jahre lang tätig. Der Vater von Mamis Seite war Schreiner. Er machte alle Einsargungen und war damit so etwas wie ein Seelsorger. Oft kamen die Trauernden zuerst zu ihm und dann erst zum Pfarrer. Mein Vater war neben seinen Aufgaben in der Familie auch politisch engagiert, so war er Gemeinderat, lange Zeit Kirchenpflegepräsident und in der Nationalsynode tätig.

Und Ihre Mutter?
Sie setzte sich für viele Menschen ein, die oft bei uns zu Hause zu Gast waren, was ich als Einzelkind hautnah erlebte. Meine Eltern verloren zwei Kinder vorher und ich bin eigentlich das dritte Kind. Meine Mutter hat 8 Monate für mich im Bett gelegen – mein Vater, machte in dieser Zeit alles. Meine Mutter, Elisabeth Bürgi Stalder, hat sich auch sozial enorm eingebracht. Unglaublich für wen sie alles sorgte. Sie hat nicht nur 10 Jahre lang den Frauenverein in Magden geleitet, sondern engagierte sich ihr ganzes Leben lang für sozial schwächere Menschen. Sie wurde auch angefragt, alleinstehende Leute zu betreuen, und zwar in einer Zeit, als es noch keine Spitex oder Sozialhilfe gab. Meine Mutter legte dann im ehemaligen Restaurant Hirschen in Magden den Grundstein für Alterswohnungen, was eine Stiftung wurde.

Wie empfanden Sie Ihre Eltern als Erziehende?
Ich bin streng erzogen worden, doch mit viel Aufmerksamkeit und Liebe. Es war klar: Man macht das und das nicht. Da schaute man genau drauf. Die Eltern liessen mir aber auch die Freiheit, zu entscheiden, wo ich selbst eine Verantwortung übernehmen wollte. Das prägte mich. Ich hatte eine schöne Kindheit – aber nicht nur die Kindheit. In einem Umfeld bin ich gross geworden, in dem ich miterlebte, was die Eltern machten. Das gab mir immer einen Halt und sollte mir ein Vorbild für mein eigenes Leben werden – und war sicher später auch ein Grund, dass ich mit meinem Mann und unseren Kindern, Tiziano und Fabrizio, unser Haus zu einem «Generationenhaus» umgebaut habe.

Wie verlief denn Ihre Ausbildung?
Ich besuchte die Primar- und Bezirksschule. Nach der Bezirksschule habe ich die Diplommittelschule in Aarau absolviert, wo ich auch wohnte. Dann besuchte ich drei Jahre das Lehrerseminar in Brugg. Schon in der 5. Klasse wusste ich, dass ich Handarbeitslehrerin werden wollte und davon kam ich nicht mehr ab. Noch heute finde ich, dass das mein Traumberuf ist.

Wann fing das Schule-Geben denn an?
Das war 1987 und ich begann als Lehrerin für Textiles Werken – Handarbeitslehrerin war das früher. Schon vorher mit 18 lernte ich meinen Mann, Marco Petraglio, im Tessin kennen, wo wir immer in den Ferien waren. Da wir nur Italienisch sprachen, wurde mir diese Landessprache fast zur Muttersprache. Marco kam nach Magden und eröffnete nach einigen Jahren eine eigene Firma. Als wir eine Familie gründeten, hörte ich zu arbeiten auf. Ich fing erst wieder mit meinem Beruf an, als unsere Söhne in die Oberstufe kamen. Ab und zu machte ich Stellvertretungen, auch um das Risiko der Selbständigkeit etwas abzufedern. Pfarrer Peter Amiet (von 1960 bis 1977 in Magden) hat uns «verheiratet». Ich fand dies schön, denn ich war unter Peter Amiet auch Ministrantin, und zwar das erste Mädchen. Doch war das zunächst nicht möglich. Ich liess nicht locker und sagte Pfarrer Amiet: «Ich will Ministrantin werden». Er sagte dann einmal, dass er hierfür zuerst Bischof Léon Gauthier (1912-1986) fragen müsse. Der antwortete kurz: «Es geht!»

Was arbeitet Marco Petraglio, Ihr Mann?
Er konstruiert Labormaschinen, die weltweit vertrieben werden. Mein Mann fing in der Garage im Haus an und wir wussten zunächst nicht, ob es wirklich funktioniert. Es brauchte Mut. Er übt seinen Beruf auch aus Leidenschaft aus, daher glaube ich, dass das ein Grund für seine Zufriedenheit im Beruf ist. Unser Sohn Fabrizio hat heute Interesse an diesem Betrieb und arbeitet im Geschäft mit. Bei aller Intensität seiner Arbeit, hat mich Marco in all meinen Tätigkeiten immer voll unterstützt. Das gab mir einen enormen Rückhalt.

Neben dem Dienst als Ministrantin hatten Sie noch andere Aufgaben in der Kirche.
Im Jahr 1985 mit 20 war ich als Delegierte von Magden zum ersten Mal an der Kantonalsynode. Ich weiss es noch genau: Es fand in Olsberg statt. Rita Plüss von Rheinfelden war Präsidentin und hatte beschlossen abzugeben. Da wählte die Synode grad mich zur Präsidentin der Kantonalsynode Aargau. So bin ich ins kalte Wasser geworfen worden. Zum Glück konnte ich mich oft mit den Eltern austauschen, was mir sehr geholfen hat. 11 Jahre lang hatte ich dieses Amt inne und lernte dort schon unseren späteren Bischof Harald kennen, der damals in Wallbach und Obermumpf Pfarrer war und bald auch in den Kirchenrat kam. Wir können also sagen, dass wir uns schon «ä zytlang» kennen. Von 1996 bis 2011 war ich Delegierte an der Nationalsynode für unsere Kirchgemeinde und war auch 2008 und 2009 Synodepräsidentin der Nationalsynode. Die Durchführung der Bischofswahl 2001 (Fritz-René Müller) und 2009 ( Harald Rein) war eine Ehre für mich. Im Jahr 2002 bin ich in die Kirchenpflege von Magden gewählt worden – davon 9 Jahre als Präsidentin, bis 2019.

Wie war denn die Wahl zur Synodalratspräsidentin?
Viele meinten: «Du musst Werbung für Deine Wahl machen!» Ich sagte, nein, das bin nicht ich. Wenn die Synode mich will, dann wählt sie mich mit dem, was ich habe. Manchmal ist es gut, wenn man Distanz hat. Man sagte auch, dass man zur Synodalratspräsidentin gefragt wird. Ich war nicht schon im Synodalrat – das war ein Unterschied. Ich war Delegierte von der Nationalsynode. 2011 bei der Wahl an der Synode in Baden, bin ich direkt in den Synodalrat und zur Präsidentin gewählt worden.

Was muss man denn für dieses Amt können?
«Lies einfach mal das Protokoll, dann weisst Du Bescheid», sagte mir mein Vorgänger. Vieles musste ich mir selbst erarbeiten. Ich machte manches anders und wollte es nicht abhängig machen von der Führung von vorher. Von den 12 Jahren brauchte ich sicher 2 Jahre, bis ich wusste «wie, wo, was» alles läuft. So bin ich auch dankbar für die sehr gute Zusammenarbeit mit den übrigen Synodalräten und mit Bischof Harald. Ich möchte betonen, dass wir in der ganzen Zeit immer ein sehr gutes, vertrauenswürdiges Verhältnis hatten. Natürlich musste ich den Kopf hinhalten – doch ich fühlte mich immer getragen von allen Mitgliedern: freundschaftlich, mit loyalem Respekt, den es braucht, mit sehr viel Herzlichkeit und Wohlwollen. Wenn ich zurückschaue: Das hat mich die ganze Zeit über gestützt.

Was hatte denn der Synodalrat jetzt als Erstes zu tun gehabt?
Wir haben sehr viel aufgeräumt, was die finanziellen Dinge anbelangt. Ich wollte, dass die Kirche nicht mehr überall so viele Darlehen hat. Dass sie von dem, was sie erwirtschaftet, leben kann. Nicht verkaufen, sondern versuchen, ein Objekt zum Ertragswert zu nutzen. Etwa ein Pfarrhaus dann vermieten, wenn man es nicht mehr dem Pfarrer vermietet. Wir versuchten, Erträge zu generieren, auch aus den Mieteinnahmen, die nicht vom Steuereinkommen abhängig sind. So war ich immer eine Verfechterin, dass man die Pfarrhäuser nicht verkaufen soll, sondern dass man probieren muss, sie zu nutzen, so dass sie einen Ertrag geben. Nach dem Motto: Wenn man sie dem Pfarrer vermieten kann, kann man sie auch sonst vermieten. Man baut sie um, macht Wohnungen. Da war ich immer sehr offen und habe immer an die Kirchgemeinden appelliert, dies doch zu versuchen.

Wie konnten Sie sich im Synodalrat in den Fragen rund um die Finanzen denn absichern?
Peter Hagemann von Steffisburg Thun ist mit mir in den Synodalrat gewählt worden. Um die Finanzen habe ich mich in den ersten 2 bis 3 Jahren nicht gekümmert. Da dachte ich, da ist einer vom Fach, einer der Bescheid weiss. Er sagt mir, wenn irgend etwas ist. Denn ich hatte neben meiner Arbeit nicht auch noch Zeit, die Finanzen anzuschauen. Als dann Anne Loch in den Synodalrat gewählt wurde, habe ich so recht «dahinter» sehen gelernt. Sie hat einfach Bescheid gewusst und wusste schon nach einem Jahr, wie hier der Hase läuft. Sie hat uns auf Dinge aufmerksam gemacht, die uns halfen, zu guten Lösungen zu kommen, die wir dann nach aussen sauber aufgleisen konnten. Es ging einmal um das bischöfliche Haus in Bern. Es gab Stimmen, die sagten, man sollte es verkaufen. Wir fanden einen guten anderen Weg und jetzt ist es vermietet und wir haben gute Mieteinnahmen. Vielleicht geht ja der nächste Bischof dorthin wohnen. Der Willadingweg in Bern ist das Zentrum für unsere Kirche und wir waren immer der Meinung, man sollte so etwas nicht verkaufen.

Kam diese Botschaft denn bei den Kirchgemeinden an?
Steter Tropfen höhlt den Stein: Bei den Neujahrswünschen im Christkatholisch und an den jährlichen Finanz- und Präsidientagungen habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass man sehen muss, wie man externe Ressourcen gewinnen kann, damit die Kirchgemeinden finanziell unabhängiger werden. Im Hinblick auf die fortschreitende Säkularisierung.

Ist es nicht bei vielen Themen wichtig, dass sie auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden können?
Ja unbedingt. Kommunikation ist das A und O! In unserer Kirche ist es manchmal schwierig, etwas zu erneuern, da viele Leute am Alten hängen. Das heisst nicht, dass ich per se alles erneuern oder abschaffen will, denn was uns die Traditionen geben, ist wichtig und darauf können wir aufbauen. Ich finde es jedoch sehr entscheidend, und bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir für die Zukunft neue Ideen und Inputs entwickeln müssen – gemeinsam, auch wenn es schwerfällt. Wir lernen es von unseren Jungen genauso wie von den Alten: Man darf einfach nicht stehenbleiben.

Ziehen denn Bistum und Kirchgemeinden den Strick nicht in dieselbe Richtung?
Leider nicht immer. Manchen ist es nicht mehr klar, welche Bedeutung das Bistum hat und dass die Kirchgemeinden nicht alles machen müssen, ja können. Es ist ein buntes synodales Zusammenspiel. Ich habe Kirchgemeinden erlebt, die viel zu fest nur für sich schauten und sich sagten, es gehe ihnen ja gut, sie bräuchten eigentlich nicht mehr. Da habe ich vermisst, dass sie «über de Gartehag» hinüberschauen. Das Weitsichtige, das Ganzheitliche, das, wo wir alle darin hineingehören, war nicht da und der kleinräumige Entscheidungsort blieb isoliert stehen.

Was ist der Grund, dass dieser Blick über den eigenen Tellerrand manchmal fehlt?
Das Bistum ist weit weg und bis ein Thema fertig besprochen worden ist, dauert es zu lange; sie denken, dass sie lieber selbst entscheiden. Jetzt durch die angestrebte gemeinsame Lohnverwaltung, zum Beispiel, hat das «Miteinander» doch langsam Früchte getragen und die Leute haben sich Gedanken gemacht. Sie merken, dass man eine gute Lösung finden möchte: Die Kirchgemeinden können ihre Autonomie und Selbständigkeit behalten und die Sachen, die für die Gemeinden schwierig oder aufwendig sind, die können zentral gelöst werden. Das hat nichts damit zu tun, dass man zentralistisch sein will. Und in diese Richtung haben wir in den letzten Jahren immer etwas versucht umzusetzen.

Hat man vielleicht auch Angst?
Alles Neue macht uns Angst, man hat Angst, etwas zu verlieren und doch müssen wir uns darin bestärken, mutig zu sein, den Dingen in die Augen zu blicken. Wir müssen uns fragen, was wir gemeinsam wirklich wollen. Wir wären ja nicht hier, wenn unsere Vorfahren vor 150 Jahren nicht mutig gewesen wären. Dieser Mut, aber auch die Weite und Offenheit im freiheitlichen Denken, gilt auch in der heutigen Zeit, ist noch immer aktuell.

Braucht es Mut zum Glauben?
Wir müssen uns wieder auf unsere Wurzeln besinnen. Man muss es zeigen und man muss mit den Menschen in Kontakt sein – es ist der Mensch, der den Glauben ausmacht. Darum ist mir auch die Seelsorge immer sehr wichtig. «Seelsorge machen» und nicht nur Verwaltungsaufgaben lösen, bedeutet, dass die Seelsorgenden an die Basis, zu den Leuten gehen und ansprechbar sein müssen.

Wie liesse sich das auf den Punkt bringen?
Als ich gewählt wurde, ist mir ein Satz von Gottfried Keller zu meinem Leitspruch geworden: «Wenn Du Menschen fischen willst, musst Du Dein Herz an die Angel hängen, dann beissen sie an!» Das ist mir wichtig, dass bei Allem, was war, ich alles von Herzen gemacht habe, in aller Ehrlichkeit, mit einer gewissen Demut – dem Mut zu dienen.

Braucht es denn die Kirche gar nicht mehr?
Da bin ich immer etwas dezidiert gewesen, eindeutig in meiner Meinung: Ich finde die Kirche leistet viel. Es braucht die Kirche für die Gesellschaft und für unser Wertesystem. Werte wie Respekt, Achtsamkeit, der Umgang miteinander, untereinander, auch der Umgang mit unserer Schöpfung, das finde ich wichtig.

Und die Haltung oder besser die Bodenhaftung?
Sie funktioniert nur über den Austausch, den Dialog, die Berührung mit den Menschen, die die Gemeinschaft ausmachen. Das Leben geschieht im konkreten Handeln. Es ist mir immer wichtig gewesen, dass ich mir die Zeit nehme zuzuhören. Mit den Leuten im Gespräch sein und das Gespräch auch aufnehmen. Und dass man für alle da ist, das war mir auch wichtig. Ich kann es nur wiederholen: Die Grundlage muss immer das Gespräch, der Dialog sein.

Und wenn es Streit, Auseinandersetzung gibt?
Dann erst recht, und dann kommt es zum Tragen, dass man miteinander geredet hat, sich dazu vielleicht auch überwinden musste, Kompromisse eingeht und nach Lösungen sucht.

Wo haben Sie bei all den Schwierigkeiten, die es auch gab, die Verwurzelung?
Es ist die Familie und der Glaube. Ich habe die Kraft von den Menschen, mit denen ich etwas erlebt habe – schon als Kind. Es geht um die Sache und das war mir immer wichtig. Es geht nicht um meine Person. Es geht um die Kirche und es geht um die Menschen, die unserer Kirche treu sind und mitarbeiten. Das hat mich auch sehr beeindruckt, zu sehen, wie viele Leute ehrenamtlich für die Kirche arbeiten und sich einsetzen. Ohne das ginge es gar nicht. Wir brauchen diese Leute. Kurz: Wir sind auf Menschen angewiesen.

Dass die «Ehe für alle» so breit und vertieft besprochen wurde, hat ja auch gezeigt, wie die Christkatholische Kirche mit brisanten und kon­trovers diskutierten Themen umgehen kann. Woher ist der Impuls für die «Ehe für alle» gekommen?
Das waren die Jugendlichen. Und wir – Synodalrat, Bischof – haben den Impuls zu einer ausserordentlichen Synode und die späteren Schritte sehr gerne aufgenommen. Es war eine Herausforderung und alle Kirchgemeindemitglieder und Delegierten konnten sich bis zur Abstimmung und auch noch danach zu Wort melden.

Wie ordnen Sie die Ökumene und den interreligiösen Dialog in der Kirche ein?
Die ökumenischen und die internationalen Beziehungen hatte ich immer sehr unterstützt, nicht nur bei unseren Kontakten in der Schweiz, sondern auf allen internationalen Treffen, was zu einer der Aufgaben von Bischof und Synodalrat gehört. Ich war drei Mal an Kirchentreffen in den Niederlanden mit der IBK – die 1889 durch den Zusammenschluss der altkatholischen Bischöfe gegründete Internationale Altkatholische Bischofskonferenz –, was das verbindende Organ der Utrechter Union ist, die auch mit den anderen Kirchen zusammenwirken. Dazu gehören Deutschland, Österreich, Polen, Holland, Tschechien die Schweiz und Kroatien. Ein gegenseitiger Austausch, erwies sich nicht nur als sehr fruchtbar, sondern auch als sehr spannend und herausfordernd. Ich durfte auch an der Bischofsweihe von Heinz Georg Lederleitner teilnehmen. Wenn ich mit Mitgliedern anderer Kirchen und Religionen ins Gespräch kam, stellte ich fest, wie wir von der christkatholischen Kirche immer willkommen sind und unsere Stimme sehr wohl gehört wird. Da­rum finde ich, dass unsere Kirche auch in Zukunft nach wie vor eine grosse Chance hat. Es war schon in der Zeit unseres ersten Bischofs Eduard Herzog klar, dass wir nur mit den anderen Kirchen unsere christliche Botschaft weitertragen können. Ich weiss, dass wir wirklich sehr viel zu geben haben.

Wie würden Sie Ihre Ideen, Ihre Visionen den Jungen mitteilen und sie mit einbinden?
Ich denke, es ist wichtig, dass wir unsere Jungen von Anfang an mitnehmen und sie nicht nur irgendwo abliefern. Wir Erwachsene sind auch mit dabei, so dass sie uns sehen und erleben können. Wie kann ich von den Kindern erwarten, dass sie mitmachen, wenn die Eltern nicht mitmachen? Ich habe die Jugendlichen immer direkt angefragt, sie motiviert mitzumachen oder mitzuhelfen.

Aber Kirchenpflege und Synodalrat – wie geht das?
Von 2011 bis 2019 hatte ich das Präsidium Magden-Olsberg und Synodalratspräsidium zusammen und das war manchmal sehr viel. Ich konnte das nur machen, weil ich mich auf eine gut zusammenarbeitende Kirchenpflege stützen konnte. Da möchte ich unbedingt Karl Spaar erwähnen, der mir sehr viel abnahm, ohne ihn wäre das nicht gegangen.

Gibt es ein Patentrezept à la Petraglio?
Nein, ich habe kein Patentrezept, doch vielleicht gab es etwas: «Der Garten war mein Psychiater». Nach den Synoden ging ich in mein Gewächshaus oder in den Garten. Es ging mir gut, wenn ich mit der Erde etwas machen konnte. Die 12 Jahre waren intensiv.

Und welche Bedeutung hat der Gottesdienst?
Bei allem, was mir an neuen Liedern, Texten und Bildern gefällt, habe ich auch gerne das Traditionelle in der Kirche. Ich merke schon den Widerstand bei unseren Kindern, doch kann ich ihnen beim Synodengottesdienst «vorführen», was ein Gottesdienst bewirkt und ist. Es sind natürlich Highlights, denn da sind so viele Leute dabei. Wir merken schnell, dass die Traditionen alt und jung, konservativ und progressiv, französisch, italienisch und deutsch verbinden. Wer das Kreuz, eine Kerze, den Kelch oder das Evangelienbuch sieht, versteht, dass dies unsere gemeinsamen Symbole, unsere «Sprache» ist, vor Gott zu treten. Das ist Gemeinschaft. Auch wenn wir in einem kleinen Gottesdienst nur 10 oder weniger sind, ist es Gemeinschaft. Man kann dieses Gemeinschaftsgefühl nur besser erleben, wenn mehr Leute in der Kirche sind. Darin erleben wir Kirche, zeigt sich unser Menschsein. Es sind alles Facetten unseres Glaubens mit all den Hoffnungen und der Sehnsucht nach Liebe und Frieden.

Sie haben von einer grossen Aufgabe Abschied genommen.
Es war eine sehr intensive und spannende Zeit. Ich habe insgesamt 38 Jahre «Kirche gemacht» – das reicht im Moment.
Loslassen ist der Schlüssel zum Glück, sagte Buddha. Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Es muss Altes gehen, damit Neues kommen kann.

Aber Sie hätten doch so viel an Erfahrung, womit Sie sich einbringen könnten!
Jeder ist ersetzbar! Ich hoffe, ich habe einen kleinen Baustein gelegt. Franz Murbach ist 2011 mit mir in den Synodalrat gewählt worden. Es ist gut, dass er dort weitermachen kann. Ich bin zuversichtlich, dass alles seinen guten Lauf nimmt. Es war mir auch für die Welschschweiz wichtig, dass dieser Kontakt stehen bleibt. Ich bin auch froh, dass wir mit Paolo Rossi jemanden aus dem Tessin gefunden haben.

Sind wir denn für die Zukunft gerüstet?
Ich bin sicher, dass unsere Kirche für die Zukunft mit den Veränderungen, die anstehen, viel einzubringen hat. Ein reiches ökumenisches Netzwerk, langjährige Erfahrungen mit Kirchengemeinschaften und demokratischen Prozessen – und die Talente der Frauen auf allen Ebenen.
Unsere Kirche hat eine Zukunft, denn sie hat diese Pluspunkte, sie muss sie nur richtig einsetzen und an den Mann und an die Frau bringen. Und ich denke ausserdem, die Kirchen, wir Christinnen und Christen, haben nur dann eine Chance, wenn wir es gemeinsam anpacken. Wir müssen zusammen mit unseren Glaubensgeschwistern die Ökumene stärken und auch auf die anderen Religionen offen zugehen. Kirchenaustritte, zerbrechende Partnerschaften, Säkularisierung, finanzielle Schwierigkeiten, die Fragen der Umwelt: Die Herausforderungen sind für alle gross und es werden nicht weniger. Miteinander vorwärts gehen und vielleicht auch einmal stehen bleiben, eine Blume am Wegrand betrachten und dem Schmetterling zuschauen, wie er auf ihr landen will. Wir müssen uns nicht verstecken und uns schämen, dass wir Christinnen und Christen sind!

Das Interview für das „Christkatholisch“ führte
Niklas Raggenbass