Provokation des Wunderbaren

Porträt: der Heilige Thomas

Der ungläubige Thomas. Um 1602 gemalt von Michelangelo Merisi da Caravaggio.

Wenn in einem Kreuzworträtsel «Zweifler mit sechs Buchstaben» gesucht wird, müssen wir nicht lange nachdenken. Schauen wir jedoch in die Bibel, werden wir einen ganz anderen Thomas entdecken. Drei Szenen im Johannesevangelium zeigen ihn uns als einen unbequemen und herausfordernden Apostel. Sein Namenstag am 3. Juli gibt uns die Gelegenheit, den als «Ungläubigen» abgestempelten, näher kennenzulernen.

Erste Szene: Die Abschiedsrede (Joh. 14)

Jesus hält eine Rede über seinen Weg und den Weg zum Vater. Beiläufig sagt Jesus: «Den Weg, den kennt ihr ja!» Reaktion der Jünger? Stille. Alle tun so, als ob sie Jesus verstanden hät-ten. Reaktion von Thomas? «Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir den Weg kennen?» Thomas ist freimütig, offen, ehrlich, provokativ. Und darauf die wunderbare Antwort von Jesus: «Der Weg ist die Wahrheit !» oder anders herum: «Wer die Wahrheit sucht, ist auf dem Weg!»

Zweite Szene: Der todkranke Lazarus (Joh. 11)

Jesus und die Jünger sind oben im Norden in Galiläa. Im Süden, in der Nähe von Jerusalem, in Bethanien, wohnen die Geschwister Maria, Martha und Lazarus. Lazarus ist todkrank. Jetzt kommt die Bitte: Jesus soll nach Bethanien. Reaktion der Jünger? Sie wollen nicht nach Jerusa-lem, denn alle fürchten, dass Jesus gesteinigt werden könnte. Ihnen geht es nicht um Lazarus. Die Atmosphäre ist aufgeheizt. Die Jünger haben einfach Angst. Jesus sagt: «Wir gehen trotzdem!» Und was sagt Thomas? «Lasst uns mit ihm gehen und wenn er sterben muss, sterben wir mit ihm!» Thomas ist mutig, wagemutig, unabhängig von der Meinung der andern. Was passiert dann? Die ganze Gesellschaft geht nach Bethanien und es folgt die wunderbare Geschichte von der Auferweckung des Lazarus.

Dritte Szene: Begegnung Jesus mit den Jüngern (Joh. 20)

Die Jünger sind verängstigt. Durch die verschlossenen Türen tritt Jesus auf, stellt sich in ihre Mitte, zeigt seine Wunden. Die Rede ist vom Vater, vom Heiligen Geist, von der Sündenvergebung. Jesus geht wieder fort. Und jetzt kommt dieser Thomas. Er war bei der Begegnung mit Jesus nicht dabei. Die Jünger erzählen: «Wir haben den Herrn gesehen!» Thomas antwortet: «Was ihr da sagt, das glaube ich nicht!» Thomas stellt sich in Opposition. Wieder ist er in seiner Art freimütig, kraftvoll, unabhängig von der Einsicht der anderen. Er provoziert das wunderbare Ereignis: Jesus kehrt zurück, es kommt zur Begegnung zwischen Jesus und Thomas. Und wie reagiert Thomas? Es ist das kürzeste Gebet! Eigentlich sollten wir es nie vergessen. Es sind nur fünf Worte – ganz schlicht: «MEIN HERR UND MEIN GOTT!»

Thomas: Ein Apostel für unsere Zeit

Thomas ist ein aktiver Denker, ein unbequemer Frager und kein Duckmäuser. Er sucht die Wahrheit und provoziert das Wunderbare. Das Leben ist schwierig, ist immer schwierig – damals wie heute! Thomas kann uns Mut machen, auch Zweifel zu äussern, Fragen zu stellen, auch dann nachzuhaken, wenn etwas allen klar zu sein scheint. Wir provozieren durch unsere Ehrlichkeit das Wunderbare – und davon haben wir ja nie genug!!

(Rag)