«Im Winter muss mit den Bananenbäumen etwas geschehen»

Geschichten für die kalte Jahreszeit von Peter Bichsel

Der Schriftsteller Peter Bichsel
(mit Brille).

Seit über fünf Jahren schreibt Peter Bichsel, der dieses Jahr im März seinen 86. Geburtstag feierte, nicht mehr. «Ich bin in einem Alter», sagte er Manfred Papst von der Neuen Zürcher Zeitung, «in dem man anständigerweise stirbt. Es wäre nicht weiter schlimm. Wenn mich dieses Virus erreicht, habe ich keine Chance zu überleben». Dennoch ist er ein Dichter geblieben, der seine Zeit kritisch verfolgt. Auch wenn er zunächst gar nicht Schriftsteller werden wollte, sondern Lehrer.

Schriftsteller wider Willen

Nach verschiedenen Begegnungen mit Max Frisch (1911–1991), mit dem er eng befreundet war, sah er in diesem ein Vorbild, doch eines das auch etwas Unheimliches an sich hatte. Zu seiner Frau Therese, mit der er 50 Jahre verheiratet war und die er gegen Ende ihres Lebens bis zu ihrem Tod 2005 liebevoll pflegte, sagte er: «Weisst Du, was ich nie werden will? Ein Schriftsteller!» Bichsel war damals schon ein erfolgreicher Autor. Mit seinem Erzählband «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennen lernen» gelang ihm 1964 spektakulär der literarische Durchbruch als origineller Vertreter der Moderne. Doch der Autor des «Stiller» verstand sein Metier anders. «Für Frisch war alles, was keine Literatur abwirft, verlorene Zeit.» Frisch sei, so Bichsel, den ganzen Tag Schriftsteller gewesen, der Notizen macht und Tagebücher schreibt. Das halte vom Leben ab.

Durchs Lesen zum Schreiben

Der in Luzern geborene Peter Bichsel ist nicht wegen Max Frisch Schriftsteller geworden, wie er Hansruedi Kugler von der Luzerner Zeitung sagte. «Ich habe angefangen, Geschichten zu schreiben, noch bevor ich alle Buchstaben kannte». Vielleicht war seine Rechtschreibschwäche dabei eine Hilfe. Er las als Kind drei Bücher in der Woche. «Die Lehrer sagten: Er sollte mehr lesen! Und so durfte ich lesen und musste nicht im Garten helfen». So hat er schon mit 12 Jahren den ganzen Goethe gelesen, wenn er auch nicht alles verstanden hatte.

«Leseförderung in der Schule», so der ehemalige Lehrer in einer Ge-sprächsrunde im Restaurant Kreuz in Solothurn, «geht davon aus, dass Kinder lesen, wenn sie den Text verstehen. Ich bin überzeugt, dass das ein Irrtum ist: Kinder lesen, weil sie nicht verstehen». Dies ist wie ein Schlüssel zu Bichsels Schreiben: «Ich schreibe, weil ich es nicht kann. Schreiben ist ein andauerndes Umgehen mit dem Nichtkönnen».

Geschichtensammlung

Ein neues Buch von Peter Bichsel stimmt in die kalte und dunklere Jah-reszeit ein. Aus fünf Büchern hat die Herausgeberin Adrienne Schneider eine Sammlung kurzweiliger, tröstender und ermutigender Texte für die Zeit «zwischen den Jahren und danach» ausgewählt. Allein die Titel der Geschichten mit ihren verblüffend träfen und genau gesetzten Worten lassen eine ganz eigene Welt entstehen – vielleicht könnten wir sie «Bichselwelt» nennen. Manchmal nur ein bis zwei Worte, manchmal ein ganzer Satz. Peter Bichsel, der viele Reden von Bundesrat Willi Ritschard (1918–1983) schrieb, spricht ferne Erinnerungen, überraschende Gedanken oder traditionelle Lebensweisheit an. Gerne möchte man innehalten und verweilen: «Im Schnee von gestern», «Dummheit ist Macht», «Von der Flucht in ein langes Leben», «Siegen ist immer einfach», «Bescheidenheit und Entschiedenheit», «Was willst Du werden», «Entfremdete Freizeit», «Ein gutes altes Jahr». Im Erzählen seiner Geschichten will uns Bichsel auch die Erfahrung des Schweigens entdecken lassen: «Erzählen ist etwas anderes als reden – erzählen ist eine eigenartige Form von Schweigen, erzählen ist der Weg in die Stille».

Peter Bichsel ist eine lebende Legende in der Schweizer Literatur, doch keine auf einem Podest, sondern eine zum Anfassen, eine die man in den Gassen und Restaurants von Solothurn antrifft. Er hört zu und mischt sich in Diskussionen ein. Ganz unnachahmlich bei der Frage, wie denn dieses Jahr gewesen sei: «’Eines zum Wegschmeissen’, das habe ich auch schon gesagt, voreilig und unüberlegt – es war doch immerhin ein Jahr, immerhin besser als gar keines, immerhin Leben. Und Leben ist es, das man erzählen kann.»

Niklas Raggenbass
Bild und Text


Peter Bichsel
«Im Winter muss mit den Bananenbäumen etwas geschehen»
Geschichten für die kalte Jahreszeit
Herausgegeben von Adrienne Schneider
Erste Auflage 2021
Insel Verlag, Berlin