Das Kreuz mit dem Kreuz

Karfreitag

Alte Dorfkirche St. Peter und Paul, Allschwil

Das Kreuz ist das zentrale Symbol des Christentums. Doch ist es nicht eigentlich sehr problematisch, ausgerechnet ein Hinrichtungsinstrument so ins Zentrum zu stellen? Oder zeigt sich gerade darin das eigentliche Wesen des christlichen Glaubens?

Dein Kreuz, o Herr, verehren wir.» – In der Karfreitagsliturgie, die in diesem Jahr leider nicht gefeiert werden kann, wird zu diesem Gesang das Kreuz mit Weihrauch beräuchert und damit besonders verehrt. Viele Menschen haben mit dieser Kreuzverehrung am Karfreitag verständlicherweise grosse Mühe. Sie stossen sich daran, dass in feierlicher Weise ein schreckliches Folter- und Hinrichtungsinstrument verehrt wird. Ist dies angesichts einer Welt, in der Folter und Todesstrafe noch immer zu den grausamen Realitäten gehören, nicht schlicht zynisch? Oder vielleicht ebenso problematisch: Wird durch die liturgische Verehrung nicht der grausame und schmerzvolle Tod Jesu auf eine unerträgliche Weise glorifiziert und dadurch vielleicht sogar gleichzeitig banalisiert? Kann und darf man heute noch so vom Kreuz sprechen?

Todesstrafe für Sklaven

Die Kreuzigung galt in der Antike als eine besonders fluchwürdige Art der Hinrichtung. Grausam war die Kreuzesstrafe insbesondere deshalb, weil es gerade zu ihrer perfiden Grundidee gehörte, die Todesqualen des Hingerichteten zu verlängern. Noch schrecklicher wurde die Strafe durch verschiedene zusätzliche Formen der Folter im Verlauf der Hinrichtungsprozedur (Geisselung, Tragen des Kreuzbalkens an den Richtplatz durch den Verurteilten). Ein Tod am Kreuz galt zudem nicht nur als grausame Strafe, sondern auch als Schande. Die Römer praktizierten sie deshalb nur bei Nichtrömern und vor allem bei entlaufenen oder aufständischen Sklaven.

Das Kreuz als Ärgernis und Torheit

Dass ausgerechnet Jesus Christus diesen demütigenden Tod fand, hat schon in der Antike Anstoss erregt und war Teil der Polemik der frühen Gegner des Christentums. So mancher antike Kritiker der neuen Glaubensgemeinschaft hatte für die Botschaft des gekreuzigten Christus nur Abscheu, Hohn und Spott übrig.

Für den Apostel Paulus hingegen war gerade das Kreuz das entscheidende Merkmal des christlichen Glaubens. In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schrieb er: «Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. (…) Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.» (1Kor 1,18.22-24)

Paulus unternimmt also nicht einmal den Versuch, das Anstössige an der Botschaft des gekreuzigten Christus zu leugnen oder zu kaschieren. Im Gegenteil: Die Botschaft des Kreuzes ist für ihn das Zentrum christlicher Verkündigung. Christus kann, so die pointierte Position von Paulus, letztlich gar nicht anders verkündigt werden als der Gekreuzigte.

Zeichen der Solidarität

Das Kreuz wird für mich so zum Zeichen der Solidarität Gottes mit den Menschen – und zwar gerade mit den am meisten geschundenen. Diese Solidarität ist auch von uns gefordert. Beim Nachdenken über den Kreuzestod Christi und bei der feierlichen Verehrung des Kreuzes dürfen wir nicht stehen bleiben. Die Botschaft des Todes Jesu am Kreuz fordert uns heraus, gegen alle die grossen und kleinen Kreuze anzukämpfen, die auch heute noch viel zu viele Menschen niederdrücken und quälen. Sie fordert uns etwa heraus, unsere Stimme zu erheben gegen Folter und Todesstrafe.

Im gekreuzigten Jesus spiegelt sich das Antlitz jedes leidenden Menschen. Der Blick auf den Gekreuzigten kann unsere Wahrnehmung schärfen, für Nöte und den Schmerz in der Welt, für all das, was immer wieder Lebensentwürfe «durch-kreuzt». Auch für uns Christinnen und Christen bleibt das Kreuz ein grausames Folter- und Hinrichtungsinstrument. Aber zugleich wird es auch zum Zeichen des siegreichen Lebens, zum Zeichen der Auferstehung. Genau dies bezeugen wir bis heute, wenn wir etwa im eingangs erwähnten Gesang zur Kreuzverehrung weitersingen «denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt». Das Kreuz weist uns darauf hin, dass Gott überall in dieser Welt zu finden ist. Er lässt sich vielleicht gerade dort finden, wo es nach menschlichem Ermessen gar nicht mehr erwartet werden kann, in den Abgründen der Welt und unseres Lebens. Gott lässt sich nicht aus dieser Welt in religiös-fromme Reservate hinausdrängen. Er stellt sein Kreuz mitten in diese oft gottverlassen scheinende Welt hinein, dorthin, wo der Schmerz und die Angst übermächtig zu werden drohen. Das ist letztlich die wahrhaft frohe Botschaft vom Kreuz: Der Gekreuzigte und Auferstandene ist überall in dieser Welt gegenwärtig – auch in ihren Höllen, Folterkammern und auf ihren Schlachtfeldern.

Thomas Zellmeyer