Bildung zur Freiheit und Solidarität

Christkatholischer Pfarrer, Schriftsteller und Journalist Pierre César (1853–1912)

Pierre César als junger Mann Quelle: Burgerbibliothek Bern (BBB), N Pierre César

Der langjährige Pfarrer von Saint-Imier hat stets darauf hingewirkt, durch Bildung die gesellschaftliche Ent­wick­lung zu fördern. Angetrieben von Reformwillen, brachte er eine sozial-liberale Theologie in Wort und Tat unter die Leute.

Vom Kleinbauernsohn zum Lehrer

Pierre César, der «Gotthelf des Jura», entstammte bescheidenen Verhältnissen. 1853 wurde er als jüngster Sohn von Pierre Joseph César und Marie Jeanne César-Vallat in Buix geboren. Die Eltern waren Kleinbauern und Mühlenarbeiter. Der Weg zum Lehrer und christkatholischen Pfarrer war keineswegs vorgezeichnet. Doch die liberal gesinnte Mutter setzte sich für die Bildung ihrer Söhne ein. Pierre und sein älterer Bruder Joseph absolvierten beide das Lehrerseminar in Porrentruy. Joseph führte Pierre in die sozial-liberalen Kreise ein, die im Nordjura Minderheit blieben. Der Kulturkampf, der im Jura zwischen 1873 und 1878 heftig ausgetragen wurde, prägte die Lebenswege von Pierre und Joseph César.

Theologiestudium und erste Pfarrstelle

In Seminardirektor Alexandre Friche fand César wiederum einen Förderer. Auf Friches Anregung hin nahm César 1875 an der im Vorjahr geschaffenen katholisch-theologischen Fakultät in Bern das Theologiestudium auf. Nach der Absetzung von Bischof Eugène Lachat 1873, hatte die Berner Regierung die mit ihm solidarischen Priester aus dem Nordjura ausgewiesen. Geeignete Ersatzpfarrer liessen sich nur schwer finden. Einige der eilig eingesetzten Pfarrer verursachten Skandale und schadeten damit der aufgezwungenen kirchlichen Liberalisierung zusätzlich. Die ausgewiesenen Pfarrer erhielten über die Landesgrenze hinweg den Kontakt zu ihren Gemeinden aufrecht.

Ein staatstreuer jurassischer Pfarrer wie Pierre César war da höchst erwünscht. César studierte zügig. 1878 schloss er das Studium ab und wurde von Bischof Herzog zum Priester geweiht. Seine erste Pfarrstelle trat er im jurassischen Charmoille an.

Auf verlorenem Posten

Auch der dortige Pfarrer, Jean-François Adatte, war ausgewiesen worden. Keiner der Nachfolger blieb lange. Pfarrer Giaut wurde nach kurzer Zeit versetzt. Abbé Naudot brannte 1874 mit der Tochter des Kirchgemeindepräsidenten durch und hinterliess Schulden im Dorf. Ab 1875 versah Pfarrer Caillère die Pastoration. Er wurde im März 1878 entlassen. Mit «viel Muth und Arbeitseifer» trat César sein Amt an, doch stand er von Anbeginn auf verlorenem Posten. Im gesamten Nordjura verschwanden die christkatholischen Gemeinden und Minoritäten bereits wieder. 1878 gewährte die Berner Regierung den entlassenen Priestern Amnestie. Papst Leo XIII. erlaubte den römischen Katholiken, sich an kirchlichen Wahlen zu beteiligen, worauf die ultramontan gesinnten Gemeindemitglieder die Mehrheit im Kirchgemeinderat erlangten. Damit war Césars Abwahl nach Ablauf der Amtszeit vorauszusehen.

Familiengründung

1879 heirateten Pierre César und die aus Belp stammende Reformierte Marie Zahnd in Bern. 1881 wurde ihre Tochter Juliette geboren. Die christkatholischen Pfarrer waren nicht zum Zölibat verpflichtet, doch die Priesterehe wurde in der Kirche kontrovers diskutiert. 1876 hatten Pfarrer Paulin Gschwind und Rosina Hofer mit ihrer Heirat einen Präzedenzfall geschaffen. Verheiratete Priester gaben im Nordjura Anlass zu Polemik von ultramontaner Seite.

Pierre César im Café. Quelle: Burgerbibliothek Bern (BBB), N Pierre César

Schriftsteller und Journalist

In Charmoille trat César erstmals als Autor in Erscheinung. 1878 veröffentlichte er eine kirchenpolitische Schrift aus der Studentenzeit. Ab 1879 betätigte er sich als Journalist in der liberalen Meinungspresse. 1880 publizierte er eine Erzählsammlung, 1881 Novellen und Dramen, die meist von fiktiven und historischen Figuren aus dem Jura handelten. 1884 erschien eine deutsche Übersetzung des erzählerischen Erstlingswerks. Die literarischen Werke im Stil des französischen Realismus sollten unterhalten und gleichzeitig moralisch bilden.

Wahl nach St-Imier

Wie erwartet, wurde César 1884 in Charmoille abgewählt. Seinen neuen Wirkungskreis fand er in Saint-Imier als Nachfolger von Louis Mirlin. An dieser Pfarrstelle blieb er während 28 Jahren. In Saint-Imier vergrösserte sich die Familie. Tochter Claire, geboren 1885, starb bereits 1886. Joseph wurde 1887 geboren, Marcelle 1892. Marcelles Tochter, die Völkerrechtlerin Dr. Denise Bindschedler-Robert (1920-2008), wurde 1966 als erste Frau in den christkatholischen Synodalrat gewählt.

Entfaltung von Werk und Ansehen

César brachte in Saint-Imier nicht nur seine Tätigkeit als Pfarrer, sondern auch sein Werk als Autor und Journalist zur Blüte. Im kirchlichen Bereich übernahm er Aufgaben in der Prüfungskommission, als Präsident der regionalen Pastoralkonferenz und der Interessenvertretung der Kirchgemeinden, als Übersetzer und Sekretär an der Synode. Weitere Novellen und Erzählungen mit Bezug zum Jura, Dramen und Biografien flossen aus seiner Feder. Manche Prosawerke erschienen als Feuilletonromane.

César verfasste auch historische, geographische und kirchenpolitische Gelegenheitsschriften, die er teilweise unter Pseudonymen veröffentlichte. Zudem publizierte er über pädagogische Themen wie Schulmahlzeiten für arme Kinder und eine kindgerechte Schule im Sinne Pestalozzis und Herbarts. Als Journalist schrieb er weiterhin für Tageszeitungen im In- und Ausland. Sein Werk als Autor sowie seine vielfältigen Aktivitäten in Gremien, Kommissionen und Vereinen verschafften ihm überregional Bekanntheit.

César als Président der Presse Quelle: Mémoires d’Ici, Fonds Famille John Buchs

Was trieb den unermüdlichen Schaffer an?

Mit Bildung wollte César Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand fördern. Für den überzeugten Liberalen war Bildung der Schlüssel zur Teilhabe am demokratischen Staat und zu einer gerechteren Gesellschaft. Sie befähigte zur Freiheit und verhiess Fortschritt in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft. Als Bildung der Sitten verband sie Evangelium und Vernunft, förderte individuelle Tugenden und solidarische Nächstenliebe. Mit all seinen Möglichkeiten setzte César sich deshalb für die Bildung ein, als Pfarrer, als Autor, als Schulverwalter, mit der Einrichtung von Schulmahlzeiten und Schuhspenden für arme Kinder, aber auch mit der Förderung des sozialen und kulturellen Lebens in Vereinen.

Von Saint-Martin zu Saint-Paul

Die christkatholische Gemeinde Saint-Imier und ihr Pfarrer César befreiten sich nach und nach aus einer seit dem Amtsantritt finanziell desolaten Lage. Reibung gab es auch in Saint-Imier: Ab 1898 begann ein langjähriger Konflikt mit der römisch-katholischen Gemeinde, die Alleinanspruch auf die gemeinsam genutzte Kirche Saint-Martin erhob und die Teilung der Kirchengüter verlangte.

Der Streit wurde als Präzedenzfall zum Simultangebrauch bis vor Bundesgericht getragen. 1910 verzichtete die christkatholische Gemeinde auf das Recht, die Kirche zu nutzen. Im Gegenzug erhielt sie 70 000 Fr. für den Bau einer eigenen. So wurde César zum Baupastor, obwohl die gemeinsame Nutzung seinem Kirchenverständnis entsprochen hätte. Zum Ende der Bauzeit demissionierte César, zermürbt von dem Streit. Im Juni 1912 weihte Bischof Herzog die neue Kirche Saint-Paul und installierte Césars Nachfolger Paul Greuin, der eine lebendige, finanziell abgesicherte Gemeinde übernehmen konnte.

Krankheit und Tod

César hatte nach der Demission die Aufgabe übernommen, das örtliche Schulwesen zu leiten. Daneben wollte er sich weiterhin für die Kirchgemeinde einsetzen. Eine schwere Krankheit machte seine Pläne zunichte. Am 17. Oktober 1912 starb er im Alter von 59 Jahren in Saint-Imier.

Ein riesiger Trauerzug gab ihm das letzte Geleit. Über 100 Zeitungen im In- und Ausland berichteten von seinem Tod. Von römisch-katholischer Seite wurde ihm bissig attestiert, er sei Hauptstütze und streitbarster Vertreter des Altkatholizismus im Jura gewesen. In christkatholischen Nachrufen wurde er als gutherziger, energiegeladener Mensch mit etwas rauer Schale, als aufrichtiger, pragmatischer Philanthrop und engagierter Priester gewürdigt.

Erika Moser (*1968),
Dr. theol., ist Postdoktorandin
am Institut für Christkatholische
Theologie (erika.moser@unibe.ch)


Erika Moser:
Frei – gleich – solidarisch.
Pierre César (1853-1912), Muri (R. G. Bindschedler-Familienstiftung) 2020.

Die aktualisierte Biografie des unentwegt schaffenden Pfarrers, Schriftstellers, Journalisten und Pädagogen beruht auf der Master­arbeit von Erika Moser. Die Autorin trägt damit zur Christkatholizismus-Forschung für den Jura bei und lässt auch die Person Pierre César in ihren vielen Facetten aufleben. Die Publikation kann gegen einen Unkostenbeitrag von CHF  25.- über das Kontaktformular der Rudolf G. Bindschedler-Stiftung (https://www.bindschedler.name/kontakt/) bezogen werden.
ISBN-13: 978-3-952-14822-8