Die Wiederentdeckung des Dreikönigskuchens

Einst fast vergessen, heute ein verbreiteter Brauch

Der Dreikönigskuchen gehört zu den beliebtesten und am weites­ten verbreiteten Bräuchen in der Schweiz. An sich ist der Brauch sehr alt, war aber Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz fast vergessen. Seine Wiederbelebung in den 1950er Jahren war ein grosser Erfolg und verhalf auch der heute typischen Form des Dreikönigskuchens zum Durchbruch.

Die «Galette des Rois» in Frankreich ist ein Blätterteiggebäck mit Marzipanfüllung, der «Bolo-Rei» in Portugal ist ein kronenförmiges Brioche-Gebäck mit kandierten Früchten. Jedes Land hat seine typische Form des Dreikönigskuchens – in der Schweiz ist es das bekannte blütenförmige Hefegebäck mit Hagelzucker und Mandelblättchen. Wer das eingebackene Königsfigürchen findet, ist für einen Tag Königin oder König. Das «Regieren» des so gefundenen Königs ist nicht nur von Land zu Land, sondern von Familie zu Familie unterschiedlich und beschränkt sich meistens auf zu erledigende Haushaltsarbeiten oder den Wunsch des Lieblingsessens. Wobei nach manchen Traditionen die Regentschaft auch mit Verpflichtungen verbunden ist: In Mexiko zum Beispiel ist es Tradition, dass die Person, die das Figürchen findet, die übrigen Gäste einladen muss, zum Beispiel zum nächsten festlichen Beisammensein an Mariä Lichtmess.

Brotforschung als Hobby

Wenn es um die Erforschung und Wiederbelebung des Dreikönigskuchens in der Schweiz geht, führt kein Weg an Max Währen (1919-2008) vorbei. Er war Versicherungsbeamter in Bern und in seiner Freizeit der wohl bedeutendste Brotforscher seiner Zeit, wofür ihm die ETH Zürich 1979 den Ehrendoktortitel verlieh. Er suchte nach Belegen für den Dreikönigskuchen in alten Dokumenten und Urkunden und konnte den Brauch des «Bohnenkönigs» in der Schweiz bis ins Jahr 1390 zurückverfolgen. In jener Zeit wurde keine Königsfigur, sondern eine Bohne ins Brot eingebacken, und wer die Bohne fand, wurde für einen Tag lang König.

Max Währen und andere Forschende seiner Zeit sahen im spätmittelalterlichen Brauch des Bohnenkönigs eine direkte Fortsetzung eines ähnlichen Brauches in der römischen Antike, doch wird dieser Zusammenhang heute in Frage gestellt. Unabhängig davon, was der älteste Ursprung ist, bedauerte Währen, dass der Brauch in der Schweiz weitgehend verschwunden war. Er veröffentlichte seine Forschungsergebnisse, doch das allein belebt einen Volksbrauch nicht wieder. Doch Währen fand einen starken Verbündeten: den Schweizerischen Bäcker- und Konditorenverband.

Ein Berufsverband als Brauchtumsvermittler

Es war die Richemont Fachschule mit Sitz in Luzern, seit 1945 verantwortlich für Aus- und Weiterbildungen in der Branche Bäckerei, Konditorei und Confiserie, die das Rezept für den Dreikönigkuchen entwickelte, wie wir ihn heute in der ganzen Schweiz kennen. 1952 wurde Informationsmaterial zum Dreikönigskuchen an Bäckermeister verschickt, am 3. Januar 1953 brachte das Schweizer Radio eine Sendung mit Max Währen, die den Brauch erläuterte und als lustiges Spiel für Familien propagierte. Schon im ersten Jahr der Brauchtums-Wiederbelebung wurden 50’000 Dreikönigskuchen verkauft; ein Jahr später bezeichnete die Werbung den Dreikönigskuchen bereits als Tradition.

Schon bald verkauften nicht nur die Bäckereien Dreikönigskuchen, sondern auch die Grossverteiler Migros und Coop. 1989 gaben in einer Umfrage fast 88% der befragten Schulkinder an, dass sie in ihrer Familie den Brauch kennen und praktizieren. Im Jahr 2009 wurden schweizweit etwa anderthalb Millionen Dreikönigskuchen verkauft, ungefähr einer pro Haushalt, Tendenz steigend. Heute gilt der Dreikönigskuchen als die populärste Tagesaktion der Bäckerbranche. Viel geholfen hat bei der Verbreitung sicher die standardisierte und damit leicht zu erkennende Form, sowie das von anderen traditionellen Gebäckarten (man denke an Butterzopf und Grittibänz) bekannte und beliebte Hefeteigrezept.

Brauchtum und traditionelle Werte

Während der Berufsverband und die Grossverteiler handfeste wirtschaftliche Interessen hatten, diente die Wiederbelebung des Dreikönigsbrauches auch einer Stärkung traditioneller Werte, vor allem der Familie. Währen betont in seinen Schriften, wie der Dreikönigskuchen das traute Zusammensein im Familienkreis und die gemeinsame Festfreude stärken könne. Auch wenn der Brauch in weiten Teilen der Schweiz in den 1950er Jahren neu eingeführt wurde, so war er doch mit nostalgischen Gedanken und einer Rückbesinnung auf Familientradition verbunden. Als solcher Familienbrauch trat der Dreikönigskuchen denn auch seinen Siegeszug an.

Zum Erfolg sicher beigetragen hat auch, dass es sich um einen sehr niederschwelligen Brauch handelt: Man muss dazu nur einen Dreikönigskuchen kaufen und ihn gemeinsam essen. Das Königsfigürchen ist bereits in den Kuchen eingebacken, die Krone wird mitgeliefert, eine spezielle Ausrüstung braucht es nicht. Das Ritual ist ausgesprochen einfach, man muss keine speziellen Handlungen einstudieren oder Texte auswendig lernen. Es braucht weder umfassende Hintergrundwissen noch ein kompliziertes Zeremoniell: Der Ablauf «Auswählen des Kuchenstücks», «Finden des Königs», «Krönung des Finders» ist völlig logisch und kann von allen kinderleicht nachvollzogen werden.

Der Dreikönigskuchen ist ein derart erfolgreicher Brauch, dass er mehr und mehr auch über den Kontext der Familie hinaus Verbreitung fand und findet: In Firmen, in Vereinen und natürlich auch beim Kirchenkaffee wird Dreikönigskuchen gegessen und unter grossem Hallo der König oder die Königin des Tages gekrönt.

Kirche und Dreikönigskuchen

Als Volksbrauch an einem wichtigen christlichen Feiertag ist der Dreikönigskuchen für die Kirche von Bedeutung – auch, aber nicht nur als Gebäck beim Kirchenkaffee. Dabei sind mehrere Überlegungen wichtig:

Erstens hält der Volksbrauch das Fest überhaupt in Erinnerung. Der Dreikönigskuchen erinnert an einen Aspekt des Epiphanie-Festes im liturgischen Jahr, nämlich an die Anbetung des Jesuskindes durch die drei Weisen aus dem Morgenland. Ein anderer Aspekt, der in der Liturgie ebenso wichtig ist, die Erinnerung an die Taufe Jesu, rückt demgegenüber in den Hintergrund. Christliche Feste, die Eingang finden ins Volksbrauchtum, entwickeln ihr Eigenleben: Sie bewahren manche Aspekte des Glaubens und lassen andere vergessen. Man kann das bedauern; man darf sich aber auch darüber freuen, dass ein wichtiges kirchliches Fest bis heute so stark im Brauchtum und im Bewusstsein der Menschen verankert ist.

Zweitens können wir die alljährliche Königskrönung so interpretieren, dass jeder Mensch bereit sein soll, Verantwortung zu übernehmen – ein urchristkatholischer Gedanke. Niemand ist «von Haus aus» besser und wichtiger als alle anderen, jede und jeder kann das Zepter in die Hand nehmen. Und die Macht der Königin, des Königs ist beschränkt: Sie reicht nur so weit, wie alle, die um den Tisch versammelt sind, auch mitspielen.

Wie wird Vergessenes wieder lebendig?

Drittens können wir aus der Wiederbelebung des Dreikönigskuchens durch Max Währen und den Bäckermeisterverband lernen, wie sich ein lange vergessener Brauch erfolgreich wiederbeleben lässt. Lassen sich daraus Schlüsse ziehen für die Wiederbelebung und Pflege liebgewonnener kirchlicher Bräuche, die in der Gegenwart einen schweren Stand haben? Beim Dreikönigskuchen war es nicht ein einzelner Faktor, der den Erfolg garantierte, sondern das Zusammenspiel mehrerer Elemente: Ein schmack­haftes Rezept – Bäckereien, die in den 1950er Jahren Dreikönigskuchen aus normalem Brotteig verkauften, hatten kaum Erfolg und wurden vom Bäckermeisterverband dafür gerügt. Ein spielerisches Element – die Wahl eines Königs oder einer Königin durch diese spezielle Art des Losentscheides – spricht die Menschen offenbar sehr an. Die einfache Nachvollziehbarkeit des Rituals hilft dabei, es niederschwellig zu praktizieren. Der Mut von Max Währen und des Bäckermeisterverbands, die Werbetrommel zu rühren, spricht sicher vielen Christkatholikinnen und Christkatholiken aus dem Herzen. Vergessen wir aber auch nicht, dass es ganz besonders das Traditionsargument war, das in der Werbung für den Dreikönigskuchen verfing: Nicht das Brandneue, sondern die Wiederentdeckung des lange Vergessenen hat die Menschen angesprochen.

Heute sind nicht die 1950er Jahre. Wir können nicht gleich vorgehen wie vor siebzig Jahren, um Traditionen wiederzubeleben. Aber wir dürfen festhalten, dass es zu allen Zeiten Menschen gab, die sich für die Wiederentdeckung verschütteter Traditionen stark gemacht haben. Auch das ist ein urchristkatholischer Gedanke: Nicht anders hat die Nationalsynode der Christkatholischen Kirche der Schweiz an ihren ersten Sessionen ihre Reformen begründet. Dass solche Traditionen, wenn sie aus der Versenkung geholt und wiederbelebt werden, auch Veränderungen erfahren, ist dabei kein Missgeschick, sondern gewollt: Man hat 1953 den alten Brauch aufgegriffen, aber mit einem neuen Rezept.

Adrian Suter
Quelle: Konrad J. Kuhn, Dreikönigskuchen: Ein Brauch der
Gegenwart zwischen ritueller Funktion, Archaisierung und
Kommerz, Schweizerisches Archiv für Volkskunde 105 (2009), 109–126.

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«Der König trinkt»

An einem Dreikönigsabend war eine muntere Gesellschaft beisammen. Edle und Unedle sassen fröhlich bei Tische. Es ward beschlossen, den Brauch nach altem Herkommen zu feiern. Nach der Krönung des Königs hatten also alle Anwesenden, sobald er sein Glas an die Lippen setzte, zu rufen «Der König trinkt». Wer diese Regel nicht einhielt, hatte zur Strafe ein Mass Wein zu bezahlen.

In dieser Gesellschaft befand sich auch ein verschlafener, geistlicher Herr. Ob er zu früh aufgestanden war oder dem Wein etwas zu sehr gehuldigt hatte? Sein Kopf fiel stets auf den Tisch. Um sich aber vor der Strafe, die alle jene traf, die dem König nicht zuriefen, zu hüten, bat er einen Gesellen um einen Liebesdienst. Er sollte ihm immer dann, wenn der König trank, einen Stoss in die Seite geben. Der Geselle hielt sein Wort.

Am frühen Morgen hatte der Diener Gottes eine Messe zu lesen. Doch die Folgen der Übernächtigung machten sich bemerkbar. So stand er müde vor dem Altar und stützte sich mit beiden Ellbogen darauf. Er begann einzunicken und zu träumen. Im Traum sass er wieder in seiner Gesellschaft und der Geselle neben ihm.

Dem Kirchendiener schien dieses Schläfchen etwas lange zu dauern, und er versetzte dem Herrn Pfarrer einen gelinden Stoss in die Seite! – Doch lassen wir den Berichterstatter aus dem Jahre 1522 den Schluss dieser Geschichte selbst erzählen:

«Indem erwacht der Pfaff und meynet, der hett in gestupfft, wie er die Nacht het volbracht, und hub an mit lautter Stim, so fast er macht, schreyen: ‹Der König trinckt›, zwey oder drymal, das alle Welt so inn der Kirchen waren, zuluffen und meinten der Pfaff wer unsinnig worden.»

Zitiert nach: Max Währen, Der Königskuchen und sein Fest.
Ein uralter Brauch in Gegenwart und glanzvoller Vergangenheit, Bern 1958, S. 31.