Den Konsens im Glauben finden

Ehe für alle: Erste Stellungnahme des Bischofs und Vorschlag zum weiteren Vorgehen

Besuch von Katholikos Aram I. von Antiochia. 27. Oktober 2018 in der Kirche Peter & Paul, Bern.

Am 18. Juli dieses Jahres jährte sich zum 150. Mal die Dogmatisierung der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit und vom päpstlichen Jurisdiktionsprimat durch das Erste Vatikanische Konzil. Der Widerstand dagegen führte zum Schisma und zur Bildung unserer Kirche. Eine Kirchenspaltung ist kein Grund zum Feiern. Doch dürfen wir dankbar sein für unseren besonderen Auftrag. Und dazu heisst es in unserer Verfassung, dass wir alle verpflichtet sind, den Glauben der Apostel, sowie die Liturgie und die Struktur der Alten Kirche zu bewahren, in der Gegenwart zu entfalten sowie in die Zukunft hinein und in alle Welt hinaus weiter zu pflanzen … und eine Gemeinschaft zu sein, in der sich alle daran beteiligen, die Wahrheit des Evangeliums immer neu zu erkennen, zu bekennen und die nötigen Entscheidungen zu finden.

Und es ist die Aufgabe und Pflicht des Bischofs in diesem bischöflich-synodalen System als Hüter der Liturgie – und Liturgie als gelebter Glaube verstanden – bei neuen sich aufdrängenden Fragen, wie beim Thema Ehe für Alle, Stellung zu beziehen und dafür besorgt zu sein, dass der Prozess der Meinungsbildung und des Entscheidens inhaltlich und vom Vorgehen her im Sinne der Alten Kirche konsensorientiert geschieht; sowohl innerhalb der eigenen Ortskirche als auch koordiniert mit den Kirchen, mit denen sie in Gemeinschaft steht.

Es war vom Synodalrat und dem Büro der Synode mit mir ausgemacht, dass ich erst nach der ausserordentlichen Session der Nationalsynode in Zürich 2020 Stellung beziehe, um die Meinungsbildung bis dahin nicht zu beeinflussen.

Wie eine Glaubensfrage behandeln
Gerade ich habe mich die letzten Jahrzehnte in unserer Kirche und in der Weltökumene dafür eingesetzt, dass jeder Mensch unabhängig von seiner sexuellen Orientierung dieselben Rechte und die gleiche Würde in der Kirche hat. Trotzdem gibt es Differenzierungen in der Bibel und in der Tradition der Kirche, deren Bedeutung für heute noch weiter diskutiert und vertiefter geklärt werden müssen. Es geht nicht darum, etwas zu verzögern, sondern um Wahrheitssuche gemäss unserer Identität. In wichtigen Fragen kann daher nicht eine Person und auch nicht eine Mehrheit entscheiden, sondern wir müssen einen Konsens finden.

An der nächsten ordentlichen Session der Nationalsynode, voraussichtlich im November 2020 (diese musste mittlerweile leider abgesagt werden – Red.), werde ich daher daraufhin wirken, dass das Thema Ehe für Alle gemäss Artikel 22 unserer Verfassung analog einer Glaubensfrage zu behandeln ist. Eine ausführliche Stellungnahme wird im Hirtenbrief zur Fastenzeit 2021 erfolgen im Hinblick auf eine erste Lesung an der Nationalsynode 2021. Die Kriterien meiner Überlegungen sind: Farbe bekennen durch eine liturgische Umsetzung, die nicht als diskriminierend empfunden wird und zugleich im Hinblick auf Bibel und Tradition möglichst alle überzeugt bzw. mit ins Boot holt.

Ich begründe das so: Vom Zeithorizont her möchte ich dem Thema Ehe für Alle eine ähnliche Bedeutung geben wie der Einführung der Frauenordination. Unsere altkirchliche Identität erfordert eine Rücksichtnahme auf die innerkirchliche Einheit, die Entscheidungsfindung bei unseren Schwesterkirchen, sowie in der IBK und eine Befragung unserer besonderen ökumenischen Partner. Das braucht, wenn wir dies seriös tun wollen, Zeit. Da aber bedingt durch die Corona-Virus-Pandemie im Jahre 2020 weder die IBK noch die jeweiligen Nationalsynoden tagen konnten, ist das auch so gegeben. Und das trifft ebenfalls für den Entscheid in der Schweiz im National- und Ständerat zu, gegen den das Referendum ergriffen werden wird.

Beim Thema selbst wünsche ich eine gesamtheitlichere Betrachtung mit Erweiterung auf die Aspekte Familie, Gentechnologie und Wahrheitsfindung in der Kirche (siehe Hirtenbrief 2020).

Nur Zwischenbericht möglich
Im Hinblick auf die Repräsentativabstimmung in Zürich, die ein wichtiges Stimmungsbild ist, aber kein Beschluss der Nationalsynode, bevorzuge ich theoretisch das Modell von Arx (ein eigenes Sakrament für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare). Es ist aber praktisch nicht umsetzbar, da es diskriminierend empfunden werden kann und ökumenisch ein schwer erklärbares Unikat darstellt. Deshalb bevorzuge ich praktisch das Modell Ring. Wir segnen alle staatlich geschlossenen Ehen mit Liturgien, die sich nach Lebenssituationen unterscheiden. Jedes Paar kann dabei die Liturgie selbst wählen. Die eigentliche Frage (Was kann ausschliesslich Ehe sein?) wird nicht entschieden und der Rezeption überlassen. Das entspricht auch dem historischen Wandel von Familie und Ehe. Aber die Gleichbehandlung und das Farbe bekennen ist gegeben; ohne die Andersdenkenden zu überfahren. Das Modell Wloemer (Ehesakrament für heterosexuelle Paare und Partnerschaftssegnung) lehne ich aus heutiger Sicht als diskriminierend ab. Das Modell Krebs (eine Liturgie im Sinne eines Ehesakramentes für Alle) überzeugt mich nicht. Ich verstehe, warum es in Zürich bei einer breiten Mehrheit Anklang fand, aber es ignoriert auf der Sachebene mit einer rein humanwissenschaftlichen Argumentation Bibel und Tradition und vom Vorgehen her unsere Katholizität. Während das Modell Ring unter seinem Wert vorgestellt wurde.

Ich möchte einerseits keine Diskriminierung von nicht heterosexuellen Paaren und befürworte die Ehe für Alle auf staatlicher Ebene. Andererseits glaube ich aber, dass nur der in der Familie eingebettete bipolare Bund von Mann und Frau – mit der Möglichkeit der natürlichen Weitergabe des Lebens – von der Bibel und von der Tradition her zurzeit kirchlich Ehe genannt werden kann.

80% aller Christen/innen in der Welt glauben das so. Zugleich räume ich von der Vernunft her ein, dass andere und heutige Sichtweisen bei der Interpretation der Bibel und der Tradition der Kirche möglich sind. Es lässt sich aber gegenwärtig nicht entscheiden, wer im Recht bzw. in der Wahrheit ist. Jede Haltung in dieser Frage ist als Kirche letztlich nur im Glauben begründbar (was bedeutet für mich die Bibel und die Tradition und die Katholizität der Kirche?), nicht von der Vernunft her im Sinne von wissenschaftlich objektiv. Deshalb braucht es einen längeren Rezeptions- und Konsensfindungsweg mit Hilfe des Gebetes und des Heiligen Geistes, damit die Kirche in der Einheit und in der Wahrheit bleibt. Daher können Bischof und Synodalrat meines Erachtens der nächsten Nationalsynode zuhanden der IBK nur einen Zwischenbericht vorlegen und noch keinen abschliessenden Bericht.

Bischof Harald Rein